Reservist Karl Wagner

* 19.6.1889
v. 26.9.1914

vermißt seit dem Sturm der 3.Kompanie des 
4.Lothringischen
Infanterie-Regiments Nr.136
bei Craonnelle
auf den Südrand des Chemin des Dames


 
Karl Wagner leistete seinen Militärdienst in den Jahren 1909 bis 1911 beim 4.Großherzoglich Hessischen Infanterie-Regiment Prinz Carl Nr.118 ab, das damals in Worms in Garnison lag. Aus dieser Zeit stammt auch das Bild, auf dem das hesssiche Koppelschloß mit der Krone gut zu erkennen ist.
In der folgenden Friedenszeit rückte er auch Wehrübungen ein, so schreibt er z.B. im Spätsommer 1913 während eines Manövers eine Karte aus Mörchingen in Lothringen an seine Braut Katharina Staudt. Zu diesem Zeitpunkt schien die Zukunft für beide noch absolut friedvoll und glücklich zu sein. Doch dann kam der 1.August 1914, ein Sonnabend!

Wie in allen deutschen Städten und Dörfern verkündet auch in Naunheim gegen 18.00 Uhr der Ortsdiener die Mobilmachung des deutschen Heeres und der Flotte, der 1.Mobilmachungstag war der kommende Sonntag, der 2.August 1914. Fast alle Reservisten und Landwehrmänner im Dorfe sind zu Regimentern eingeteilt, die entweder in Kassel selbst, oder aus organisatorischen Gründen in größeren Städten in der Umgebung liegen. Viele junge Männer sind daher zum aktiven Infanterie-Regiment 167 in Kassel beordert, andere kommen in das neu aufzustellende Reserve-Infanterie-Regiment Nr.83, so zuerst auch Karl Wagner.

Da das I.Bataillon dieses neuen Reserve-Regiments in Arolsen (Waldeck), das II.Bataillon in Kassel und das III.Bataillon in Marburg a.d.Lahn mobil gemacht wird, kommt er aufgrund der geographischen Nähe zu seinem Heimatort Naunheim in die 9.Kompagnie des III.Bataillons, dem auch viele andere Soldaten aus Naunheim angehören.
Karls Bruder Ludwig ist, auch als Reservist, zu den 167ern nach Kassel berufen worden, und so ist es durchaus möglich, daß sie beide die Bahnfahrt zu ihren neuen Garnisonen noch ein Stück zusammen verbracht haben. In Marburg, wo Karl Wagner den Zug verlassen mußte, könnten sich die beiden Brüder beim Abschied dann wohl letztmalig gesehen haben.


 
Am 8.August schreibt Karl Wagner von Marburg aus an seine Braut Katharina, um ihr die neue Einheit, die 9.Kompagnie des Reserve-Infanterie-Regiments Nr.83, mitzuteilen. Am 9.August antwortet sie, aber diese Karte erreicht ihn in Marburg nicht mehr. Was war passiert? Unmittelbar vor dem Abmarsch kommt der Befehl, daß ein Kommando von 5 Mann nach Cassel zu fahren hat, um dort nähere Befehle für die Bewachung eines Bahnhofs zu bekommen. So kann aus einer Karte vom 13.August herausgelesen werden, daß Karl Wagner zu diesem Kommando gehörte, dazu noch weitere 4 Naunheimer, nämlich sein Schwager Heinrich Neeb X., Friedrich Schäfer (der am 22.9.15 im ResInfReg 234 bei Ypern fallen wird) sowie zwei weitere Wagner, Karl und Heinrich. Der zu bewachende Bahnhof war der von Guntershausen, ein wichtiger Eisenbahnknoten unmittelbar südlich von Cassel gelegen, in dem von dort kommend die eine Hauptstrecke nach Bebra, die andere über Marburg und Gießen in Richtung Frankfurt/Main weiter führte. Vor dem Abmarsch besuchen die fünf noch die Kaserne der 167er, sie treffen jedoch keinen ihrer Naunheimer Kameraden mehr an, denn diese sind bereits ausgerückt, auch Karls Bruder Heinrich ist schon an der Front.
Seiner Braut rät Karl Wagner vorerst, ihm nicht zu schreiben, denn "wir ziehen dauernd umher", was wohl heißen soll, daß für eine geregelte Unterkunft nicht gesorgt ist.

 
Der Bahnhof von Guntershausen in der Zeit kurz vor dem 1.Weltkrieg

 
Bis in die ersten Septembertage verläuft nun alles seinen geregelten Gang, Wache und Ruhe lösen sich ab. Dann aber plötzlich, am 4.September, schreibt er: "Wie ich Dir mitteile, kommen wir heute nach Cassel zurück, und so schreibe mir eher nichts, bis ich Dir wieder die Adresse schreibe, da sich diese doch ganz wahrscheinlich wieder ändert."

Um zu verstehen, was passiert ist, müßen wir uns die große Lage an der Front im Westen ansehen. Nach einem gewaltigen Vormarsch durch Belgien und Frankreich stehen die deutschen Armeen mit ihrem rechten Flügel in der Nähe von Paris an der Marne. Hier findet vom 7. bis 10. September eine gewaltige Schlacht statt, die damit endet, daß die Deutschen ihren rechten Heeresflügel zurücknehmen müßen. In den darauffolgenden Tagen kommt es zu erbittertsten Kämpfen, um die Front wieder zu stabilisieren. Seit etwa mitte September ist vor allem der Höhenzug Chemin des Dames westlich von Reims fast täglich im Brennpunkt der Schlacht. Erst jetzt bekommen die erschöpften deutschen Regimenter Ersatz, und zu diesem gehört auch Karl Wagner.

Denn in Cassel wird ein Ersatztransport zusammengestellt, der wohl für das XV.Armeekorps bestimmt ist. Die genaue Einteilung scheint aber noch nicht vorgenommen worden zu sein, denn Karl schreibt am 18.September aus Honnef (Sieg), daß er noch nicht weiß, wohin es geht, "nur nach Frankreich, das wurde uns gesagt". In diesem Ort scheint der Transport nochmals angehalten worden zu sein, denn auch von guten Quartieren ist in der Karte die Rede. Außerdem teilt er mit, daß er auf der Fahrt von Kassel nach Hennef durch Wetzlar gekommen ist und dort am Bahnhof Karl Staudt getroffen hat!
Es ist denkbar, das erst in diesen Tagen die - der kritischen Lage an der Front angepaßt - Entscheidung über die Zuteilung zu den Regimentern stattgefunden hat. Noch einmal meldet sich Karl Wagner postalisch, am 23.September schreibt er seinen letzten Feldpostbrief aus einem Ort in Frankreich: "Liebe Braut, wie ich Dir kurz mitteile, sind wir am Sonntag Mittag von Hennef abgefahren, und es wird nächsten Sonntag werden bis wir in die Nähe von Paris kommen und so kannst Du Dir ungefähr denken, was das für eine Fahrt ist und wer weiß wie lange es dauern wird, wenn's mir bestimmt ist, wieder zurück zu fahren. Mit vielen Grüßen Dein Bräutigam. Auf Wiedersehen."
Es dauert nun keine 24 Stunden mehr, da erreicht Karl Wagner mit dem Ersatztransport nördlich des Chemin des Dames das Infanterie-Regiment 136, dem er und seine Kameraden zugeteilt worden ist.


 
Die beiden letzten noch erhaltenen Feldpostbriefe von Karl Wagner:
links datiert vom 18.9.14 aus Hennef
rechts datiert vom 23.9.14 aus einem Ort in Frankreich

 
Vermutlich am 24.September abends trifft der Transport beim Regiment ein. Sofort werden die Männer verteilt, Karl Wagner wird dem I.Bataillon und hier der 3.Kompagnie zugewiesen. Wie schwach diese erschöpften Truppenteile trotz der Verstärkung sind, können wir in der Regimentsgeschichte nachlesen:

"Am 25.September übernimmt Oberstleutnant von Marschall das Regiment .... die Gefechtsstärke des Regiments ist von 3292 Mann auf noch nicht 1000 Mann trotz des Nachersatzes gesunken."

Für den kommenden Tag ist ein weiterer Angriff geplant, der die Franzosen über den Höhenrücken des Chemin des Dames zurückdrücken soll. Der Angriff in Richtung Dorf Craonelle wird einer der blutigsten Schlachttage des Regiments werden.....

Die Regimentsgeschichte beschreibt den Angriff wie folgt:

"Mit dem I. und II.Btl in vorderer Linie, III. hinter dem rechten Flügel greift das Regiment an.....In flottem Angriff ist bereits 7 Uhr vormittags der befohlene Weg Hurtebise-Beaurieux erreicht. Die Bataillone graben sich in der Reihenfolge von rechts nach links: III., II., I. ein. Der Gegner hat die gegenüberliegenden Höhen in mehreren Etagen besetzt, in denen besondere Stützpunkte eingebaut sind. Spbald unsere Artillerie schweigt, sind alle Gräben sofort wieder besetzt. Ständig liegen die genommenen feindlichen Gräben unter schwerstem, auch flankierenden Artilleriefeuer, an dem sich auch schwere englische Schiffsgeschütze beteiligen......Unsere an sich schon schwachen Bestände erleiden abermals ganz erhebliche Verluste..........Endlich gegen Abend tritt etwas Ruhe ein."

Dann wird das Schlachtfeld nach Toten und Verwundeten abgesucht, die Kompaniefeldwebel befragen zurückgehende leicht Verwundete über die Verluste. Es trifft - wohl von Kameraden - zuerst die Nachricht ein, daß Karl Wagner verwundet worden sei, aber eventuell noch "vorne liege". In der kommenden Nacht läßt man weiter suchen, findet ihn aber nicht. So bleibt der Kompagnie nichts anderes übrig, als zu dem Vermerk "verwundet" noch hinzuzufügen "vermißt"! Auch in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten kann man nichts über ihn erfahren. Sein Schicksal bleibt ungeklärt. Möglich ist jedoch, daß er zu den Unbekannten gehört, die man sogar noch nach dem Kriege gefunden hat, und die in einem Kameradengrab auf dem Soldatenfriedhof bei Hurtebise liegen.


 
Blick vom Chemin des Dames auf das Angriffsgelände
des Infanterie-Regiments Nr.136 am 26.September 1914

 
Welche Bedeutung der 26.September 1914 hatte, geht aus einem überlieferten Brief hervor, den der Divisionskommandeur von Karl Wagner, der spätere Kriegsminister General Wild von Hohenborn an diesem Tage abends an seine Frau schrieb, und in dem er sogar dem Regiment von Karl Wagner ein lobendes Denkmal setzt. Darin heißt es u.a.:

"...Nachts nehmen wir das ganze Angriffsfeld unter Feuer. Um 5 Uhr früh gehts vor. Von allen Seiten: es geht nicht!! Aber ich muß!  Wir sollen die von Hurtebise in südwstlicher Richtung laufende Straße erreichen........Das Artilleriefeuer ist, so gut es geht, verteilt. Und wahrhaftig, um 10 Uhr hat die Division die befohlene Linie (erreicht)! Die französische Infanterie reißt aus, aber die französische Artillerie hält gräßliche Ernte (bei uns). Alles gräbt sich ein, im Granatfeuer, steiniger Boden. Der linke Flügel (Anm.: das Regiment 136er mit Karl Wagner!) geht brilliant vor. Leider bleibt rechts und links der Nachbar zurück.....
..........aber es hat wieder viel Blut gekostet....!"

Für die Familie von Karl Wagner scheint das Unglück jedoch noch nicht groß genug zu sein, denn Karls Bruder Ludwig fällt am 5.März 1915 im Infanterie-Regiment Nr.167 an der Ostfront bei Jezierzec. So wollte es das Schicksal, daß beide Brüder aus dem großen Völkerringen nicht zurückkehren sollten.


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