Musketier Ludwig Wagner

* 15.8.1892
+ 7.8.1915

gefallen in der 2.Kompagnie des
Reserve-Infanterie-Regiments Nr.251
bei den Kämpfen an der Cesarka


 
In den Jahren 1912 und 1913 leistete Ludwig Wagner wie jeder junge Mann damals seinen Wehrdienst ab. Zusammen mit anderen Kameraden aus seiner Heimat war er bei dem Infanterie-Regiment Nr.167, das in Kassel und Mülhausen (Thüringen) seine Garnisonen hatte. Mit großer Wahrscheinlichkeit rückte er auch mit diesem Regiment im August 1914 in's Feld aus. Aber nur etwa drei Monate blieb er bei dieser Truppe, bei der er den Vormarsch im Westen im August, aber auch die Kämpfe im September in Ostpreußen mitmachte. Dann aber, im Oktober bahnte sich eine Versetzung an. Neue Truppen wurden in der Heimat aufgestellt, und die aktiven Regimenter hatten Männer dafür abzugeben, die schon Kampferfahrung hatten und den neuen Einheiten als Rückhalt dienen sollten. So verließ auch Ludwig Wagner seine 167er, zuerst wohl mit einer großen Ungewißheit, denn keiner wußte so recht, was ihn wohl erwarten wird.

 
Ludwig Wagner in der
Uniform des InfReg 167
während seiner 
Wehrdienstzeit

 
Mitte November 1914 wurden sogenannte Feld-Infanterie-Bataillone in der Heimat aufgestellt. In Arolsen trat das Btl 55 zusammen, gebildet aus Männern der Infanterie-Regimenter 83 und 167. Hier fand sich auch Ludwig Wagner wieder. Sofort begann man mit der Ausbildung, um die neue Truppe "zusammenzuschweißen". 
Im Dezember wurde dann das neue Reserve-Infanterie-Regiment 251 gebildet, das FIB 55 wurde nun I.Bataillon dieser neuen Einheit, Ludwig Wagner gehörte der 2.Kompagnie an. Hauptsächlich Männer aus Hessen, Thüringen und Westfalen waren vertreten, der übergeordnete Verband war die 75.Reserve-Division.

Am 5. und 6. Januar 1915 wurde das Regiment dann mit dem Zug zum Truppenübungsplatz Heuberg in Württemberg verlegt. Das bisher eher milde Winterwetter wurde nun durch stramme Kälte abgelöst. Der auf einem Hochplateau gelegene Übungsplatz verlangte unter diesen Witterungsbedingungen viel von den Männern ab, nicht umsonst nannte man diese Gegend auch die "Raue Alb".


 
Ende Januar kam dann der Marschbefehl, und am 3.Februar fuhr die Truppe mit dem Zug über Ulm - Donauwörth - Nürnberg - Bamberg - Naumburg/Saale - Posen - Hohensalza - Bromberg - Insterburg - Gumbinnen nach Ostpreußen. 75 Stunden dauerte die Fahrt in eisiger Kälte. 25 km nördlich von Gumbinnen, in Kundern, wurde Osrtunterkunft bezogen. Der Marsch dorthin war beschwerlich, es herrschte Schneesturm, die Temperatur sankt auf minus 10 Grad.

Die Division war für eine große Schlacht vorgesehen, die die letzten Teile Ostpreußens von den Russen befreien sollte - hinterher die "Winterschlacht in Masuren genannt". Der Oberbefehlshaber war General v.Hindenburg, der spätere Feldmarschall und Reichspräsident.

Am 8.Februar begann in dunkler Nacht der Vormarsch. Lamgsam wurde es Tag, doch vom Feind nichts zu sehen - er hatte wohl seine Stellungen freiwillig geräumt. Das weitere Vorrücken in Richtung Osten brachte dann schaurige Erkenntnisse: Alle Dörfer, die der Russe geräumt hatte, brannten lichterloh. In den nächsten Tagen wurde der Schnesturm immer schlimmer, es waren "üble Marschtage", wie die Regimentsgeschichte berichtet. Ernsthafte Gefechte hatte das Regiment aber noch nicht zu bestreiten gehabt.


 
Am 12.Februar wurde es dann aber ernst! Bei Neuteich und Grünwalde trafen die Truppen auf ernsten Widerstand. Ernergisch wurde angegriffen, auch die 2.Kompagnie mit Ludwig Wagner wurde rechts umfassend eingesetzt. Der Feind hielt schließlich dem Druck nicht mehr stand und räumte die Stellung - der erste Sieg war erfochten, aber auch die ersten Verluste zu beklagen.

Weiter ging der Vormarsch, doch nun schlug das Wetter um! Jetzt taute es, und dann kam der Regen, der alles in eine Schlammwüste verwandelte. Am 14. wurde die Situation kritisch, den die Artillerie konnte nicht mehr folgen, sie war
in dem Schmutz einfach steckengeblieben. Selbst 8 Pferde schafften es kaum noch, eine Kanone zu ziehen. Gegen 11.00 Uhr an diesem Tag wurde die Grenze nach Rußland überschritten. Abends kam eine neue Hiobsbotschaft - die Verpflegungswagen kamen nicht mehr durch. Kameradschaftlich teilten Offiziere und Mannschaften die letzen Stücke Brot.

Am nächsten Tag wurde dann die Stadt Suwalki (25 000 Einwohner) erreicht, nun hob sich die Stimmung wieder. Endlich gab es wieder Verpflegung, und eine trockene Unterkunft wurde bezogen. 


 
Die große Kirche in Suwalki

 
Jetzt machten sich allerdings auch die Anstrengungen der letzten Tage bemerkbar - die Truppe war erschöpft. Allerdings nur 24 Stunden Ruhe war den Männern vergönnt. Weiter ging der Vormarsch in Richtung Augustowo, das am 18. erreicht wurde. Wieder wurde Ortsunterkunft bezogen. Als am 19. weitermarschiert wurde, kam es kurz hinter der Stadt nochmals zu einem ernsten Kampf. Hier, im Wald von Augustowo, waren nun über 60 000 Russen eingeschlossen - das Ende der großen Schlacht stand bevor. Schließlich war es geschafft, und über 16 000 Gefangene sowie Massen von Munition und Gerät fiel in die Hände der Deutschen.  Die letzten Reste der russischen 10.Armee war zerschlagen worden - Ostpreußen nun endgültig frei vom Feinde. Auch die 251er hatten ihren Teil dazu beigetragen, nun rückten sie am 21. wieder in Augustowo ein. 

Über den nächsten Tag schreibt die Regimentsgeschichte:

"Als wir am 22.2. ausgeschlafen und frisch gewaschen uns das Städtchen ansahen, fanden wir noch die Gefangenen vor und in der Kirche. Endlose Kolonnen bewegten sich nach rückwärts. Prächtige Offiziersgestalten schritten mit niedergeschlagenen Augen vorüber. Das war der besiegte Feind."

Nun fanden große strategische Umgruppierungen statt. Die 75.Reserve-Division sollte bis zum Bobr vorrücken. Schwere Kämpfe fanden daraufhin statt, nur langsam ging es voran. Schließlich erreichten die Männer am 26. den Fluß. Doch ein Überschreiten war unmöglich - das Tauwetter hatte Hochwasser entstehen lassen, der sonst friedliche Fluß war ein reißendes Gewässer geworden. So wurden die geplanten weiteren Operationen eingestellt.


 
Wieder traten Umgruppierungen ein, das Regiment wurde in den nächsten Tagen an verschiedenen Punkten eingesetzt. Schließlich bezog es am 4.März eine Stellung nahe dem Dorfe Lyse. 

Hierzu schreibt die Regimentsgeschichte:

"Lyse ist ein Dorf von 133 Wohnhäusern, nicht schöner und nicht häßlicher als andere Polendörfer. Für die 251er aber hat es eine besondere Bedeutung. Der Name Lyse hat für jeden, der die Zeit erlebt hat, einen eigenartigen Klang. Er erweckt bei ihm Erinnerungen, die zu den schönsten des Feldzuges gehören."

Diese Gefühle wird auch Ludwig Wagner gehabt haben!


 
Die Stellung des Reserve-Infanterie-Regiments Nr.251 
bei Lyse in Russisch-Polen

 
Jetzt folgten recht heftige Stellungskämpfe, die vordere Linie wurde bis Serafin vorgetrieben. Trotz großer Erschöpfung wurde angefangen, die Gräben zu verbessern und auch Stollen wurden angelegt.

Am 16.März erfolgte plötzlich im Dunkel der Morgenstunden ein starker russischer Angriff. Der Stoß traf die hauptsächlich die 2.Kompagnie, in der sich Ludwig Wagner befand. Es kam zu einem erbitterten Nahkampf, ein Teil der Kompagnie geriet in Gefangenschaft. Weiter drang der Feind vor, und da die Verbindung nach rückwärts zum Regimentstab unterbrochen war, wurde die Situation kritisch. Schließlich wurde aber die Gefahr doch noch erkannt, und Reservekompagnien griffen in das Gefecht ein. Größte Verwirrung herrschte in der Dunkelheit, Verwundete und Tote lagen umher - Russen und Deutsche, und der Gefechtslärm war ohrenbetäubend. Doch der Feind hatte gute Stellungen auf der Höhe 131 und im Walde erreicht. So mußten auch die letzten Truppen, die in Lyse in Ruhe lagen, alarmiert werden.
Aber die Gefahr war noch nicht gebannt. Zwar konnten einige russiche Stellungen überrant werden, doch die Höhe 131 hielt der Feind. Und ganz vorne waren noch immer Reste der 2.Kompagnie eingeschlossen. Langsam wurde es heller, und die Regimenstgeschichte schreibt nun:

"Die Russen lagen Kopf an Kopf in den Gräben, schossen teilweise, und wußten anscheinend nicht recht, was werden sollte. Nachher stellte sich heraus, daß uns kein Offizier mehr auf Höhe 131 gegenüber lag, jedenfalls haben wir keinen beim Sturm gefangen."

Kurze Zeit später, als die Reserven heran waren, begann der Sturmangriff. Entschlossen warfen sich die 251er auf den Feind, das Bajonett wütete furchtbar. Auch die Maschinengewehre taten nun ihre Wirkung. Von links und rechts bedrängt, gab es für die Russen keine Fluchtmöglichkeit mehr. Was nicht fiel, wurde gefangen genommen. Nun konnten auch die noch vorne eingeschlossenen Teile mit in den Kampf eingreifen, und im Laufe des Vormittags war die gesamte Stellung wieder in deutscher Hand. Dieser entschlossenen Gegenangriff sorgte dafür daß es nun erst einmal ruhig war, der Russe hatte vorläufig genug.
Aber schwer waren die Verluste, so hatte das I.Bataillon, das am härtesten getroffen war, 59 Tote, 84 Verwundete und 159 Vermißte zu beklagen.


 
Langsam kam nun Ordnung in die Stellung, die immer besser ausgebaut wurde. Auch die Macht des Winters war gebrochen, es folgten schöne Tage. Der Frühling zog ein, das Wetter wurde warm, und es entwickelte sich ein fröhliches Lagerleben. Der Feind verhielt sich ruhig.

Nun wurden im Hinterland die Felder bestellt. Auch traf immer mehr Material ein, so daß die Stollen in den Gräben fast wohnlich ausgebaut werden konnten. Sogar eine Feldbahn wurde gebaut, die Ablösungen brauchten nicht mehr zu Fuß zu erfolgen. Die Feldpost traf nun regelmäßig ein, und gar mancher der Männer konnte sich über Liebesgaben aus der Heimat freuen. 

Lediglich am 28.April wurde auf Befehl der Divison ein Angriff zur Ablenkung des Gegners durchgeführt. Es war ein schwerer Tag, der wieder Verluste brachte, aber auch das Ziel erreichte, starke russische Kräfte zu binden. Tragisch war jedoch, daß bei diesem Kampf ein Kamerad aus Naunheim, Kaspar Schäfer V., gefallen ist. Mit Sicherheit hat ihm auch Ludwig Wagner das letzte Geleit gegeben.

Dann trat aber wieder Ruhe ein, und in regelmäßiger Folge wechselten nun Ablösungs-, Arbeits- und Exerzierdienst. Das Leben im Schützengraben und in Lyse selbst wurde immer gemütlicher, Blumenbeete wurden in den rückwärtigen Ruheräumen zur Verschönerung angelegt, und selbst die russischen Geschütze, die hier und da einen "Gruß" herübersandten, bekamen Namen. So gab es z.B. den "langen Heinrich", der jedem 251er ein Begriff wurde. Aber diese Ruhe hatte auch zur Folge, daß die Männer leichtsinnig wurden. Als einer sogar im Schützengraben seine Decke auf den Stacheldraht legte und ausklopfte, wurde er zwar nicht von den Russen, aber von seinem Kompagnieführer bestraft.....!


 
Da kam am 25.Mai plötzlich ein überraschender Befehl: Das I.Bataillon mit den Kompagnien 1., 2., 3. und 4. mußte sich für eine unbekannte Verwendung marschbereit halten. So packte auch Ludwig Wagner seine Sachen. Wohin sollte es diesmal wohl gehen?

Im nördöstlichen Zipfel Deutschlands, im Memelland bei der Stadt Tilsit, war der Russe im Frühjahr nochmals eingebrochen. Rasch zusammengewürfelte Truppen hatten ihn jedoch bald stoppen können, und als Verstärkung aus dem Westen eintraf, wurde er wieder in Richtung Osten Osten gejagt. Doch die Deutschen ließen nicht locker und verfolgtren nun den Gegner. Am dritten Tag des Angriffs standen die Truppen schon 100 km tief in Kurland, Schaulen wurde besetzt und vor Libau donnerten deutsche Schiffsgeschütze. Am 7.Mai war auch diese Stadt eingenommen. Bis zum Fluß Dubissa war man vorgestoßen, hier sollte gehalten werden. Doch langsam wurde die Front doch so breit, daß nochmals Verstärkungen notwendig wurden. So entschloß sich das deutsche Oberkommando, von den ruhigen Fronten Truppen abzuziehen und hier einzusetzten. Eine neue Armee, die Njemen-Armee, wurde gebildet. Ihr Führer war der bekannte General Otto von Below. So wurde auch Ende Mai 1915 das I.Bataillon des ResInfReg 251 dieser Armee zugewiesen, und Ludwig Wagner fuhr mit seinen Kameraden gen Norden - Kurland entgegen.


 
Es folgte nun eine Zeit, die reich an Märschen und Gefechten war. Bis zum 10.Juni dauerten die Kämpfe an der Dubissa, dann folte eine kurze Phase der Ruhe. Daraufhin folgten Umgruppierungen, und vom 20. bis 27.Juli kämpfte das Bataillon in der Schlacht um Schaulen. Wieder wurde der Feind geworfen und zurückgedrängt. Diese schnellen Ortswechsel, die mit den Kämpfen verbunden waren, machten auch den Feldküchen schwer zu schaffen. So gab es einmal fünf Tage hintereinander Graupensuppe, einmal zwischendurch noch Reis. Immer weiter ging es nun, bis der Fluß Swjenta erreicht wurde. Bei dem Ort Traschkuny fand nochmals ein schweres Gefecht statt, das leider auch große Verluste für das Bataillon brachte. Dann ging es in nördlicher Richtung weiter, Tag und Nacht in Gefechtsbereitschaft. Schließlich wurde auf einer Holzbrücke die Swentja überschritten. Nun bekam das Bataillon endlich einen verdienten Ruhetag.

Am 6.August wurde der Vormarsch fortgesetzt. Es herrschte große Hitze. Auf der großen Straße Kowno-Dünaburg kam es zu Marschstockungen. Hier wurde das Bataillon südwärts zum Flußtal der Cesarka abgebogen. Auch waren Teile der vorauseilenden Kavallerie hier auf Feind gestoßen. Das Bataillon sollte helfend in den Kampf eingreifen. Spät abends noch wurden Alarmquatiere bezogen, die Nacht verlief jedoch ruhig.


 
Doch schon am frühen Morgen setzte de Kampf bei der 2.Kompagnie am linken Flügel mit großer Heftigkeit ein. Die vorgeschobenen Waldstellungen konnten nicht gehalten werden. In Massen tauchten die Russen zwischen den Bäumen auf. So mußten die wenigen Deutschen die Stellung räumen. Verluste traten ein, und Verwundete gerieten in Gefangenschaft. Hinter den Männern floß die Cesarka mit reißendem Wasser, sie wurde in höchster Not an der erst besten Stelle durchschritten. Die Verbindung mit den Nachbarn war völlig abgerissen. Schließlich wurde auf dem rechten Ufer wieder Stellung bezogen. Doch der Russe folgte und schritt erneut zum Sturm. Weiter mußte zurückgegangen werden, auf rasch herangeholten Karren wurden die Verwundeten und Gefallenen mitgeführt. Endlich, um die Mittagszeit, an einem Steilhang, war man der Umfassung entronnen. Staubwolken zeigten an, daß deutsche Kavallerie in scharfem Galopp heransprengte. 

 
Nachruf des Naunheimer Vereins
Gemütlichkeit (einer Burschenschaft)
im "Wetzlarer Anzeiger" vom Januar 1916. Als Vorletzter ist Musketier Ludwig Wagner vom ResInfReg 251 genannt.

 
In diesem schweren Gefecht, daß die 2.Kompagnie fast alleine führen mußte, fand auch Ludwig Wagner den Tod. Seine Leiche konnte geborgen werden, und er wurde an Ort und Stelle bestattet. Einen Nachweis über den Verbleib der Grabstätte ist leider nicht bekannt. Sie kann noch heute dort vorhanden sein.
Auch denkbar ist es, daß nach dem Kriege der Leichnam auf einen großen deutschen Soldatenfriedhof umgebettet wurde. Doch auch hierüber schweigt die Geschichte.


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