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Hält man sich an die Aussagen des
Geschichts-Papstes
des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, Guido Knopp, so ist die
Frage
nach den Gründen des Kriegsausbruches ganz schnell und leicht zu
beantworten.
Der 1.Weltkrieg wurde verursacht "von einem Kaiser, der von deutscher
Großmacht
träumte." (Sender Phoenix, Programm "100 Jahre Deutschland" vom
24.April
2000, 23.20 Uhr) - So einfach ist das!
Ist es wirklich so einfach? Wie kommt es,
daß
sich Generationen von Menschen mit dieser Frage beschäftigt haben?
Warum greifen Historiker dieses Thema immer wieder auf? Es kann also
doch
nicht so einfach sein! Geschichte ist fließend. Sie
fließt aber
nicht wie ein ruhiges Gewässer, sondern eher wie ein
reißender
Strom, mit Wellen, die Höhen und Tiefen haben. Dabei kann man die
Höhen mit den großen, weltverändernden Ereignissen der
Geschichte vergleichen. Dazwischen finden wir ruhigere Abschnitte, die
den Wellentälern ähneln. Dieser Vorgang hatte eine Situation
geschaffen, wie
sie jahrhundertelang überhaupt nicht denkbar war. Das ewig
politisch
zersplitterte, eigentlich nur als geographischer Begriff bekannte
Deutschland
hatte sich plötzlich geeint. War es bisher immer wieder gut als
Schlachtfeld
zu gebrauchen, so stand nun eine einheitliche Macht an den Grenzen.
Hier
in Deutschland konnten die Großmächte Europas vorher ihre
Streitigkeiten
bequem austragen. Der dreißigjährige Krieg und die
Feldzüge
Napoleons sollen nur als Beispiel dienen. Damit war es nun vorbei.
Alles
war auf einmal anders. Katholische Süddeutsche und die
Protestanten
aus dem Norden, Republikanische Hansestädte und seit vielen
hundert
Jahren bestehende Monarchien, einfache Menschen und
Würdenträger,
sie alle kamen nun unter dem Dach des Deutschen Reiches zusammen.
Doch wie kam es nun, daß, von dieser Situation ausgehend, eine Entwicklung eintrat, die schließlich zu der Konstellation führte, die wir bei Ausbruch des Weltkrieges vorfinden. Friede herrschte in Europa, die Waffen schwiegen. Aber der Kampf wurde nun mit anderen Mitteln und auf anderen Gebieten weitergeführt. Wenn es auch nach außen hin ein friedlicher Wettstreit war, so wurde er doch von dem einen oder anderen Staat mit tödlichem Ernst betrieben. Hier ist in erster Linie die wirtschaftliche Entwicklung zu nennen, die eine entscheidende Rolle spielte, aber auch die Kolonialpolitik war von besonderer Bedeutung. Wir wollen nun untersuchen, welche Interessen die Großmächte verfolgten, und wie sich daraus die Beziehungen und Bündnisse entwickelten. Nach der Bismarck-Ära hielt das
Deutsche Reich
zuerst an den von ihm geschaffenen Bündnissen fest. Doch die
Aufkündigung
des Rückversicherungsvertrags unter Caprivi mit Rußland
brachte
die ersten Veränderungen. Bei dieser sich nun zuspitzenden Situation
spielte
England das Zünglein an der Waage. Als d i e Weltmacht
sich ansehend wollte es keinerlei Konkurrenz in Wirtschaft, Handel und
Kolonialpolitik dulden. Dazu kam noch, daß der als
Defensivmaßnahme
gedachten Flottenbau die Gegnerschaft Englands verstärkte. Die
Schaffung
einer starken deutschen Flotte sah es als Bedrohung seines
Herrschaftsanspruchs
über die Meere an. Zwar gab es einzelne, tastende
Annäherungsversuche,
aber jeder auch noch so vorsichtig formulierte Vertragsentwurf sollte
immer
zu Englands Bedingungen abgeschlossen werden. Das Deutsche Reich betrieb eine friedliche, aber unsichere und schwankende deutsche Politik. Diese war nicht dazu angetan, die sich aus der außenpolitischen Isolierung ergebenden Gefahren zu bannen. Als geradezu beispielhaft muß man das Zitat aus einer Rede des Reichskanzlers v.Bethmann-Hollweg vom 5.März 1910 im Reichstag ansehen: "Unsere auswärtige Politik, nicht nur England, sondern allen Mächten gegenüber, ist lediglich darauf gerichtet, die wirtschaftlichen und kulturellen Kräfte Deutschlands frei zur Entfaltung zu bringen." Und nicht lange vorher, am 27.Januar 1910, hatte der Botschafter in London, Graf Wolff-Metternich, dem gleichen Gedanken Ausdruck gegeben: "Wir verlangen nicht neue Länderstrecken; unsere Eroberungspolitik ist auf Erschließung fremder Märkte gerichtet." Nun gibt es immer wieder Kritiker, die den Vorwurf erheben, Deutschland hat sich mit Österreich-Ungarn den schwächsten und in der geographisch-politischen Konstellation gefährdetsten Staat als Bündnispartner ausgesucht. Dem muß man aber die Frage nach der Alternative entgegenhalten. Bei der o.a. Bündnissituation hätte das Deutsche Reich völlig allein gestanden, und ohne Deutschland als Partner wäre Österreich dem Druck auf dem Balkan und von Seiten Italiens schon viel eher erlegen. Spätestens dann wäre Deutschland so isoliert gewesen, daß es überhaupt keine Chance mehr gehabt hätte, sich der Einkreisungspolitik noch mit militärischen Mitteln zu wehren. Man war auf Gedeih und Verderben aufeinander angewiesen. Ein weiterer Vorwurf, der gerne Deutschland gegenüber erhoben wird, ist der des angeblichen Militarismus. Ohne eine Flut von statistischem Material anzuführen, sollen nur drei Vergleiche erläutert werden: 1. 1914 lag die Friedensstärke der Heere bei - Deutschland.............761 000
also insgesamt bei ca. 1 239 000 Mann. Dem gegenüber standen - Rußland.....1 450 000 (+ 400 000
Mann im Winter
zusätzlich) also insgesamt 2 723 000 Mann (+ 400 000 Russen im Winter zusätzlich). Das ist mehr als das Doppelte! Und schließlich noch zwei spezielle Vergleiche zwischen Deutschland und Frankreich: 2. Das Verhältnis der F r i e d e n s s t ä r k e zur B e v ö l k e r u n g s z a h l betrug 1913 - in Frankreich 2% - in Deutschland 1,17 % Das bedeutet, daß in Frankreich prozentual fast doppelt so viele waffenfähige Bürger im Frieden beim Militär waren als in Deutschland! 3. Die Zahl der t a t s ä c h l i c h eingestellten Wehrpflichtigen im Verhältnis zur m ö g l i c h e n Menge aufgrund der gesetzlichen Vorschriften lag bis 1913 - in Frankreich zwischen 78 und 82 % - in Deutschland zwischen 50 und 55 % Das bedeutet, Deutschland hat nur etwa jeden zweiten Wehrpflichtigen auch tatsächlich eingezogen, Frankreich hingegen mindestens drei von vieren! Dem Deutschen Kaiser unter
Berücksichtigung dieser
Zahlen vorzuwerfen, er hätte vorsätzlich einen Krieg vom
Zaune
gebrochen, würde bedeuten, Wilhelm II. nachträglich für
Schwachsinnig zu erklären. Ein solcher Versuch hält keiner
ernsthaften
Prüfung stand! Wir wollen aber noch einmal auf das Problem
der Staatenkonstellationen
zu sprechen kommen, da diese für die Entwicklung der Ereignisse im
Sommer 1914 von fundamentaler Bedeutung ist. 1. England => sieht in dem wirtschaftlich aufstrebenden Deutschland seinen größten Konkurrenten, der auch immer stärker seine traditionelle Vormachtstellungen auf den Weltmeeren bedroht => hat mit Österreich-Ungarn direkt kein Konfliktpotential => ist mit Frankreich verbündet => ist mit Rußland verbündet => hält Italien in Abhängigkeit durch Bedrohung dessen Küsten 2. Frankreich => hält den Revanchegedanken gegen Deutschland aufrecht zur Wiedergewinnung von Lothringen und dem Elsaß => ist mit England verbündet => ist mit Rußland verbündet => verhält sich gegenüber Italien offen neutral, fördert aber vorsichtig dessen Konflikt mit Österreich => verhält sich ebenso gegen Österreich-Ungarn, um dadurch Rußland zu stützen 3. Rußland => verhält sich wegen der Unterstützung des Vordringens des Panslawismus auf dem Balkan Österreich-Ungarn gegenüber feindlich => sieht Deutschland wegen dessen pro-österreichischem Verhalten auch als Gegner an => ist mit England verbündet => ist mit Frankreich verbündet => hat mit Italien direkt kein Konfliktpotential 4. Italien => sieht Österreich-Ungarn wegen Gebietsforderungen trotz eines Bündnisses an Gegner an => verhält sich gegenüber Deutschland trotz eines Bündnisses wegen der Abhängigkeit Englands gegenüber vorsichtig neutral => hat mit Frankreich direkt kein Konfliktpotential und wird von diesem indirekt unterstützt => hat mit Rußland direkt kein Konfliktpotential => hat mit England direkt kein Konfliktpotential, ist aber von ihm wegen seiner Küstengrenzen abhängig 5. Österreich-Ungarn => sieht Rußland wegen dessen Balkanpolitik als gefährlichsten Gegner an => sieht Italien wegen dessen Gebietsforderungen trotz eines Bündnisses an Gegner an => hat mit Frankreich direkt kein Konfliktpotential, obwohl dieses Italien vorsichtig unterstützt => hat mit England direkt kein Konfliktpotential => ist mit Deutschland verbündet 6. Deutschland => wird von England als dessen größter wirtschaftlicher Konkurrent angesehen, der auch immer stärker die britische Vormachtstellung auf den Weltmeeren bedroht => kommt mit Frankreich wegen dessen Revanchegedanken zur Wiedergewinnung von Lothringen und dem Elsaß zu keinem Ausgleich => hat zwar ein Bündnis mit Italien, das aber wegen dessen Gebietsforderungen Österreichs gegenüber nicht von hohem Wert ist => wird von Rußland wegen seines Bündnissen mit Österreich-Ungarn als Gegner angesehen => ist mit Österreich-Ungarn verbündet Zu dieser ganzen Konstellation gesellte
sich noch eine
Atmosphäre des permanenten Mißtrauens. Es gab keinen
"ehrlichen
Makler" wie Bismarck mehr. Keiner traute dem anderen, jeder
unterstellte
bei allen Gesprächen dem Partner nur, den eigenen Vorteil zu
suchen.
Und genau in diese Stimmungen fiel ein Ereignis, daß das
Faß
zum Überlaufen brachte. |
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vor dem Attentat am 28.Juni 1914 im Fond des Wagens |
wird nach dem Anschlag von Sicherheitskräften abgeführt |
Am 28.Juni 1914 werden der
österreichische Erzherzog-Thronfolger
Franz Ferdinand zusammen mit seiner Gemahlin, Herzogin Sophie von
Hohenberg, in Sarajewo durch Pistolenschüsse des serbischen
Gymnasiasten
Princip ermordet. Das Attentat ist die Ausführung eines Planes,
den
ein serbischer Geheimbund vorbereitet und vom dem auch die serbische
Regierung
selbst Kenntnis hat.
Wir wollen die nun folgenden Ereignisse -
der besseren
Übersicht wegen - in chronologischer tabellarischer Form
wiedergeben.
Der Jubel, der damals in vielen
Städten aller
beteiligten Länder ausbrach, zeigt - in aus heutiger Sicht mehr
als
unverständlicher Form - nur, welches Pulverfaß zur lange
erwarteten
Explosion gekommen war. Es wird aber auch deutlich, welche politische
"Schwüle"
über dem Europa von 1914 hing. Ausgang war am 25. Juli: Allgemeine Mobilmachung S E R B I E N S Die Antwort war am gleichen Tag: Teilmobilmachung Ö S T E R R E I C H -U N G A R N S Bis hierher kann man noch von einem lokalen Konflikt sprechen. Dann aber folgte am 26.Juli: Kriegszustand der Festungen in R U S S L A N D und Beginn der russischen Kriegsvorbereitungsperiode. Und weiter ging es in Rußland. Am 29.Juli: offizielle Teilmobilmachung R U S S L A N D S und geheim eingeleitete allgemeine Mobilmachung. Die Eskalation erfolgte einen Tag später. Am 30.Juli: Offizielle Allgemeine Mobilmachung in R U S S L A N D Nun geht es Schlag auf Schlag, der Konflikt weitet sich aus. Die erste Reaktion ist am 31.Juli: Allgemeine Mobilmachung Ö S T E R R E I C H -U N G A R N S Und darauf folgt dann am 1.August getreu den Bündnissen: Allgemeine Mobilmachung F R A N K R E I C H S und unmittelbar darauf: Allgemeine Mobilmachung in D E U T S C H L A N D Schließlich am 2. und 3.August: Allgemeine Mobilmachung E N G L A N D S Das Drama war nun nicht mehr aufzuhalten!
Besinnen wir uns noch einmal auf die am
Anfang dieser
Abhandlung gestellte Frage. War es wirklich so einfach, wie Herr Knopp
es im Fernsehen dargestellt hat? Wir behaupten nein! Es war wesentlich
komplizierter! Und als Fazit soll auch nicht d e r
Verantwortliche
vor das Gericht der Geschichte gezerrt werden. Denn diesen einen werden
wir nicht finden! J e d e r damals handelnde Politiker oder
Monarch glaubte sich - aus der damaligen Sicht der Dinge und der
damaligen
Auffassung und Einschätzung von Ereignissen - im Recht. Wir
müssen
uns also bei jeder Bewertung in die Zeit von 1914 versetzen! Das
gebietet
die Fairness denen gegenüber, die sich heute nicht mehr
verteidigen
können. |
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