Landsturmmann Heinrich Ulm

* 25.7.1877
+ 17.3.1916

gestorben im Feldlazarett in Chevigny
an seiner in der 5.Kompagnie des
Infanterie-Regiments v. Voigts-Rhetz
(3.Hannoversches) Nr.79
bei Cerny en Laonnais
erhaltenen schweren Verwundung


 
Als Heinrich Ulm am 25.Juli 1877 in dem kleinen Ort Vollnkirchen im Kreis Wetzlar geboren wurde, da war die Gründung des deutschen Reiches erst sechs Jahre her, und Kaiser Wilhelm I. regierte noch in Preußen und in Deutschland. Nach der Schule machte er eine Lehre als Schreiner, und in diesem Beruf erwarb er auch den Gesellenbrief. Von 1897 bis 1899 leistete er wie alle seine Alterskameraden den gesetztlich verankerten Wehrdienst ab. Vermutlich waren es die besseren Berufsbedingungen, die ihn anschließend nach Naunheim im damaligen Kreis Biedenkopf zogen, denn dieser Ort war weit über seine Grenzen hinaus bekannt für qualifizierte Arbeit im Schreinerhandwerk. 1906 heiratet er dort, seine Frau verstarb jedoch schon gut ein Jahr später, sodaß er 1911 eine zweite Ehe einging. Insgesamt war er fünffacher Familienvater.

Als im Sommer 1914 der Weltkrieg ausbrach, da erhielt auch der nun 37jährige Landsturmmann seinen Gestellungsbefehl. Zuerst wurde er mit vielen Altersgenossen in der Etappe verwendet - Bahnschutz, Begleitung von Gefangenentransporten oder Wachdienste gehörten zu seinem Alltag. Aber schon im Laufe des Jahres 1915 wurden auch die älteren Männer in die Kampfregimenter eingezogen. Und als der Herbst nahte - der zweite Kriegswinter stand vor der Tür - da kam auch für die Versetzung. Seine neue militärische Heimat wurde das Infanterie-Regiment Nr.79, welches im Frieden in Hildesheim seine Garnison hatte. Naturgemäß waren es daher überwiegend Niedersachsen, die in dieser Truppe vereint waren. Trotzdem hat es auch so manchen aus der Heimat von Heinrich Ulm dorthin "verschlagen", und gar mancher ist wie er auch in diesem Regiment gefallen. Genannt werden sollen an dieser Stelle der Leutnant Hermann Raab aus Wetzlar, der am 4.Juli 1917 als Führer der MG-Kompagnie einer schweren Verwundung erlag; Musketier Theodor Deutsch aus Braunfels, der schon am 22.August 1914 gefallen war sowie der Gefreite Friedrich Wilhelm Wörner aus Albshausen, den das Soldatenschicksal am 29.November 1917 ereilen sollte. 

Die 79er hatten schon 1914, besonders aber im Sommer 1915 schwere Kämpfe im Osten zu bestehen gehabt, da sie seit Mai an der großen Durchbruchsschlacht bei Gorlice-Tarnow und den anschließenden Verfolgungskämpfen gegen die Russen eingesetzt worden waren. Ab dem Monatswechsel August/September wurden sie dann - schon stark geschwächt - langsam aus der Front herausgezogen.


 
Mitte September 1915 wurde das Regiment dann von der Ost- an die Westfront verlegt. Es hatte schwere Kämpfe hinter sich und große Verluste gehabt. Ruhe war von Nöten, und Ersatz mußte die gelichteten Reihen wieder auffüllen. Nun kam auch Heinrich Ulm zu seinem neuem Truppenteil, er wurde dem II.Bataillon und dort der 5.Kompagnie zugeteilt. In Mechelen in Belgien waren die Männer in guten Ortsunterkünften untergebracht, und man erhoffte sich eine längere Zeit der Erholung und Ausbildung. Die lange Bahnfahrt hatte auch seinen Teil dazu beigetragen, daß die Truppe ziemlich erschöpft war, und Schlaf war zuerst das Wichtigste für sie. Dann aber, bei gutem Essen, besserte sich rasch die Stimmung. Nun sollte in gemeinsamer Ausbildung der neue Ersatz mit den Altgedienten zusammengeschweißt werden. Schon waren die Pläne dafür ausgearbeitet, da kam es wieder einmal, wie so oft im Soldatenleben, anders, als man geplant hatte.

Plötzlich erreichte am 25.September nachmittags ein Alarmbefehl den Regimentsstab. In der Champagne hatten die Franzosen einen großen Angriff begonnen, die deutschen Truppen waren ins Wanken geraten - ein Durchbruch des Feindes schien zum Greifen nahe. So zog die deutsche Oberste Heeresleitung alles an Reserven hinter diesen bedrohten Abschnitt, der sie habhaft werden konnte. Und so wurden am 27. September die Transportzüge bestiegen, und über Brüssel, Namur, Dinant und Charleville ging es nach Le Chatelet, wo die Transporte ausgeladen wurden. Die letzten Berichte von der Front lauteten: "Es steht auf des Messers Schneide".


 
Blick auf Cerny en Laonnais im Winter 1915/16

 
In unabsehbarer Reihe erwarteten Lastkraftwagen die Truppen. Wie grollender Donner dröhnte während der nächtlichen Fahrt das feindliche Trommelfeuer herüber, immer stärker werdend, je mehr sich die 79er der Front näherten. In Sechault ausgeladen, bezogen die Kompagnien während des Vormittags des 28. zuerst Unterkunft, marschierten dann aber nachmittags schon weiter nach Ardeuil. In der folgenden Nacht stieß auch der Regimentsstab zu seinen Bataillonen. Doch diese wurden, dem Gebot der Stunde folgend, einzeln eingesetzt. Zuerst rückte das III.Bataillon ab, und dann wurde auch das I. in einen anderen Stellungsbereich verlegt. Schließlich traf auch der Einsatzbefehl für das II.Bataillon ein:

"Abrücken nach Ripont Mühle zur Verfügung der 50.Reserve-Division"!

Der Regimentskommandeur Oberstleutnant Freiherr v.Ledebur ließ die Kompagnien mit 300 m Abstand den Steilhang nach Gratreuil hinanrücken. Den Männern sprach er aufmunternd und anregend zu, ermahnte sie aber auch, in treuer Pflichterfüllung durchzuhalten. Als die ersten Gruppen über die Höhe kamen, eröffnete die feindliche Artillerie das Feuer. Eng an den Hang geschmiegt, wurde Schutz gesucht. Als das Feuer etwas nachließ, brachen die Männer wieder auf.  Dann wurde eine Stellung an der Straße Dormoisebach - Tahure bezogen. Unmittelbar beim Einrücken in die Schützenlöcher - die Gräben waren längst zerstört - schlugen einige Volltreffer in die 5. und 6.Kompagnie, welche die ersten Verluste brachten. In den nächsten Tagen hatte das II.Bataillon schwer unter dem feindlichen Artilleriefeuer zu leiden, dennoch, die Böschung an der Straße bot leidlich Schutz. Zu Essen gab es kaum etwas, das am Mann befindliche trockene Brot war die Hauptmahlzeit, und auch Wasser wurde schnell Mangelware.

Am nächsten Morgen wurden die Kompagnien einzeln nach vorne in die Kampfabschnitte geführt und an verschiedenen Stellen beim Infanterie-Regiment Nr.158 eingesetzt. Die 5. mit Heinrich Ulm blieb zuerst als Reserve zurück.

Am 3.Oktober bekam die Männer dann der Auftrag, dem Feind ein kleines Grabenstück zu entreißen, von dem aus er die Kompagnie immer flankierend unter Feuer nehmen konnte. Eine Patrouille erkannte, das die feindlichen Gräben jedoch dicht besetzt waren, ein Angriff der Franzosen ihrerseits schien bevorzustehen. Als diese dann noch Verstärkung erhielten, da schossen die Männer in die sich fast stauenden Massen des Feindes hinein. Dieser wußte nicht, woher das Feuer kam und geriet in Verwirrung, alles rannte blindlings im Gelände herum und suchte Schutz vor den überall einschlagenden Geschossen der 79er. Der Abend brachte dann das Ergebnis, daß der mutige Vorstoß der 5.Kompagnie es dem Feind unmöglich gemacht hatte, mit erdrückender Übermacht an diesem Tage anzugreifen.

Doch weiter dröhnte das furchtbare Trommelfeuer der Artillerie. Stunde um Stunde schlugen die Granaten ein.  Dann am 6.Oktober, fast wie eine Erlösung, brach der feindliche Infanterieangriff vor. Blitzschnell setzte das deutsche Sperrfeuer ein, doch im Schutz des Morgennebels konnten die Franzosen an einigen Stellen in die deutschen Stellungen eindringen. Hier wurde dann allerdings mit Unterstützung der Reservetruppen im erbitterten Nahkampf wieder herausgeworfen. So konnte man am Abend melden, daß der feindliche Angriff überall abgeschlagen werden konnte. Doch weiter dröhnte das Trommelfeuer, bis endlich in der Nacht vom 8./9.Oktober abgelöst wurde.  Bleich und übernächtigt sammelte sich das II.Bataillon in der Goutteschlucht. Allein dieses, das mit etwas 500 Mann an die Champagnefront gekommen war, hatte in der Schlacht Verluste von 99 Toten, 147 Verwundeten und 63 Vermißten, die entweder verschüttet worden waren oder sich in Gefangenschaft befanden. Diese schweren Kämpfe wurden später in der Militärgeschichte als "Herbstschlacht in der Champagne" bezeichnet.


 
Am 12.Oktober wurde das Regiment, nun  wieder vereint, weiter zurückgezogen. Im Fußmarsch erreichte es dann bis zum 23.Oktober die Dörfer Gizy und Marchais. Dort wurde endlich Quartier bezogen. Bis zum 27. dauerte hier die Ruhe, dann kam der Befehl, südlich von Laon wieder in Stellung zu rücken. Nach einigen Tagen, wieder im anstrengenden Fußmarsch, war der neue Einsatzraum erreicht, und im November konnte man die Ablösung als beendet melden.

 
Der Todesort (+) des Landwehrmannes Heinrich Ulm 
in der Stellung bei Cerny en Laonnais

 
Die neue Stellung des Regiments lag auf einem Bergrücken und zog sich etwa vom Wege Troyon-Cerny in östliche Richtung bis etwa südlich der Bovelle-Ferme. Der ganze Bereich bestand aus drei hintereinanderliegenden Gräben der 1., 2. und 3.Linie, die durch zahlreiche Verbindungsgräben miteinander verbunden waren. Hinter dem rechten Abschnitt lag der Ort Cerny, der aber schon stark zerstört war. Die Gräben waren tief und gut ausgebaut, in der 2. und 3. Linie befanden sich Unterstände. Vor dem vordersten Graben war ein Drahthindernis angebracht, das aus spanischen Reitern und einem Drahtgewirr bestand. Alle fünf Tage wurde abgelöst. Jeweils zwei Kompagnien jedes Bataillons lagen in Stellung, die anderen beiden in Ruhe bzw. in Reserve. Dafür waren Lager mit Holzbaracken gedeckt an Steilhängen errichtet worden. Hierfür mußten die Kompagnien Arbeitskommandos stellen, Handwerker waren nun gefragt. Mir Sicherheit hat auch der Schreinergeselle Heinrich Ulm dazu beigetragen, daß seine Kameraden und er hier manche ruhige Stunde verbringen konnte.

Auch der Regimentsverbandsplatz wurde hier eingerichtet, die Ärzte hatten eine separate Baracke zugeteilt bekommen. Auch ein Zahnarzt war vorhanden, ein als Musketier kämpfender kriegsfreiwilliger Arzt hatte sich seine Utensilien ins Feld nachschicken lassen. 

Der feindliche Graben war an einigen Stellen nur ca. 10 m vom eigenen entfern, die weiteste Entfernung betrug 30 m. Diese Umstände erforderten permanent höchste Aufmerksamkeit. Gut war die Verpflegung, die regelmäßig nach vorne gebracht werden konnte. Morgens und Abends gab es Kaffee oder Tee, das meist schale Wasser war man doch leid gewesen! Und mittags warme Kost, auch das empfand die Truppe als äußerst wohltuend. Allerdings wurden die Fleischportionen im Winter 1915/16 wegen der allgemein schlechten Ernährungssituation in der Heimat von 375 g auf 300 g herabgesetzt. Auch die Brotportionen mußten von 750 g auf 500 g gekürzt werden. Allerdings gab es zum Ausgleich sogenanntes "Brotgeld". Damit war es den Männern möglich, in der Kantine auf eigene Rechnung zusätzlich Brot zu kaufen.

Regelmäßig fanden Gottesdienst statt, die in einer Naturhöhle abgehalten wurden. Diese war bombensicher und so geräumig, daß ein Bataillon mit ca. 500 Mann bequem darin Platz hatte. Abwechselnd waren der katholische und der evangelische Divisionspfarrer da, und die Messen waren immer stark besucht. Der Drang nach seelischem Beistand schien groß zu sein!

So kam der Jahreswechsel, und Weihnachten wurde den Umständen entsprechend gefeiert. Überall standen kleine Bäumchen, mit wenig, aber doch liebevoll geschmückt. Auch trafen immer noch Päckchen aus der Heimat - Liebesgaben genannt - ein. Und auch Sylvester verlief noch ruhig. Viele stellten sich aber wohl im Inneren die Frage: "Was wird das neue Jahr 1916 wohl bringen?"

Fleißig wurde am Ausbau der Stellung gearbeitet. Verlief das Jahresende noch vom Feind ziemlich ungestört, so begann dieser im Januar, immer wieder mit zum Teil starken Patrouillen gegen die Stellung der 79er vorzufühlen. Die Posten mussten also auf der Hut sein, und doch traten immer wieder Verluste ein. Im Februar änderte sich das Wetter, Schnee und Frost setzten ein, und es wurde bitter kalt. Dennoch war die Stimmung gut. Anfang März setzte dann Tauwetter ein, Schlamm und Matsch verwandelten die Stellung in einen chaotischen Zustand. Immer wieder stürzten die Grabenwände ein, permanent mußte ausgebessert werden. Als dann auch noch Regen dazukam, da war es kaum noch zum aushalten. Und dennoch, es passierten auch lustige Dinge, so zum Beispiel, wenn einer nur noch auf Socken in das Lager zurückkam, weil seine Stiefel irgendwo im Morast steckengeblieben waren. Den einzigen, den das nicht erfreute, war der Kammerunteroffizier, denn dem ging langsam aber sicher das gute Schuhzeig aus.......

Die Franzosen allerdings blieben rege, immer öfter gab es nun kleinere Auseinandersetzung. Die Posten waren jedoch auf der Hut, alle feindlichen Patrouillenangriffe wurden durch heftiges Feuer abgewiesen.


 
Die Grabstätte des Landsturmmannes
Heinrich Ulm 1916 bei Cerny

 
Es nahte der 16.März, der wieder einmal ein unruhiger Tag werden sollte. Die 5.Kompagnie stand im Graben, als erneut eine starke Erkundungsabteilung des Feindes vor der Stellung auftauchte. Auch das Artilleriefeuer war angeschwollen. Es entstand ein kurzer aber heftiger Feuerwechsel, dann zogen sich die Franzosen unter Verlusten wieder zurück. Aber auch bei den 79ern waren Verwundete zu beklagen - Heinrich Ulm lag schwerverletzt im Graben. Umgehend wurde er von den Kameraden zum Verbandsplatz im rückwärtigen Ruhelager gebracht. Dort stellte der Bataillonsarzt fest, daß er sofort in das Feldlazarett nach Chevigny überführt werden müsse. Die Sanitätskompagnie brachte ihn dann in der Nacht zum 17. dorthin. Aber auch hier konnten ihm die Ärzte nicht mehr helfen, der 39jährige Landstrummann verstarb im noch Laufe des Tages.

Schon einen Tag später wurde er auf dem Lazarettfriedhof in Chevigny mit militärischen Ehren beigesetzt. Zusammen mit einem Foto des Grabes ging die Todesnachricht in die Heimat ab.


 
Die Todesanzeige im "Wetzlarer Anzeige" vom 18.Juni 1916

 
Was aus dem Grab später geworden ist, läßt sich nicht mehr sicher ermitteln. Möglicherweise wurde der Lazarettfriedhof bei späteren Kämpfen zerstört. Es kann aber durchaus möglich sein, daß die Toten auch danach noch umgebettet wurden. So ist es denkbar, daß Heinrich Ulm heute noch aus dem Militärfriedhof von Cerny unter den Unbekannten ruht.

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