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Immer wieder wird behauptet, daß die Grundlage für den Auf- und Vormarsch des deutschen Westheeres zu Beginn des 1.Weltkriges der "Schlieffenplan" gewesen sein soll. Diese Aussage ist nur bedingt richtig. Wir wollen daher an dieser Stelle untersuchen, was von dem ursprünglichen Plan im August 1914 noch übrig geblieben war. Denn so, wie ihn Graf Schlieffen sich vorgestellt hatte, ist er von seinem Nachfolger Generaloberst v.Moltke nicht umgesetzt worden. Um aber überhaupt zu verstehen, was der Plan tatsächlich für eine Bedeutung hatte, müssen wir uns etwas mit der Gedankenwelt seines Urhebers vertraut machen. Aus diesem Grunde stellen wir an den Anfang unserer Abhandlung einen kurzen Überblick über das Leben und den militärischen Werdegang des Grafen Schlieffen. |
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Schwarzen Adlerordens |
Graf Alfred v.Schlieffen wurde am
28.Februar 1833
in Berlin geboren. Sein Vater war Major im 2.Garde-Regiment zu
Fuß,
mußte jedoch krankheitsbedingt bereits 1837 seinen Abschied
nehmen.
So zog die Familie nach Schlesien auf das Rittergut
Groß-Krausche,
wo der Knabe mit neun Geschwistern seine ersten Lebensjahre verbrachte.
Die Grundlagen seiner Bildung eignete er sich auf der Herrnhuter Erziehungsanstalt zu Niesky und auf dem Joachimstalschen Gymnasium zu Berlin an, eine glückliche Mischung aus religiöser Erziehung und humanistischer Bildung. Nach Ablegung der Reifeprüfung wählte er das Waffenhandwerk und wurde 1854 zum Sekondeleutnant im 2.Garde-Ulanenregiment befördert. Chronisten erzählen, daß ihm eine fröhliche Leutnantszeit beschieden war. Noch in späteren Jahren sprach man von ihm und seinen Bruder von den "tollen Schlieffens". Aus dieser fröhlichen Jugendzeit hat der später so ernste, ja fast unnahbare Mann zwei Eigenschaften gerettet, die ihn besonders charakterisiert haben: einen feinen Humor und einen erfrischenden Sarkasmus. Bald nach seiner Truppenzeit besuchte er die Kriegsakademie und machte dann die übliche "Lehrzeit" beim Generalstab durch. Den Feldzug 1866 machte der junge Offizier beim Kavalleriekorps der 1.Armee mit. An den Triumph bei Königgrätz erinnerte sich der alte Schlieffen immer noch gerne, es war für ihn ein Höhepunkt seiner militärischen Laufbahn. Als 1870 der Krieg gegen Frankreich ausbrach, gehörte er zuerst zu dem Generalkommando, daß mit dem Küstenschutz beauftragt war. Später jedoch kam er zum XIII.Armeekorps, daß der Großherzog von Mecklenburg befehligte. Hier machte er den Feldzug mit, der die Truppen "über Schnee und Eis zu den Ufern der Loire führte", wie er es selbst beschrieb. Nach dem Krieg, als er die Stufen der Karriereleiter hinaufstieg, traf ihn ein großer Schicksalsschlag: nach kurzer Ehe verstarb seine Gattin. Er selbst kam in eine Phase des Lebens, die er vom dienstlichen her als mit die schönste bezeichnet hat: sieben Jahre lang war er Kommandeur des 1.Garde-Ulanenregiments. 1886 kam er schließlich zum Großen Generalstab zurück, wurde Abteilungschef und später Oberquartiermeister. Nach seinem Wahlspruch "Viel leisten, wenig hervortreten, mehr sein als scheinen" befaßte er sich von nun ab mit den Vorbereitungen für einen drohenden Krieg. Am 7.Februar 1891 wurde er dann der "Chef". Kaiser Wilhelm II, der in Personalentscheidungen nicht immer eine glückliche Hand hatte, tat wohl hier einen der glücklichsten Griffe, als er Graf Schlieffen aus der "Verborgenheit" hervorholte und an die Spitze des Großen Generalstabs setzte. |
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Von nun an trat eine entscheidende Frage
in den Mittelpunkt
seines ganzen Wirkens: "Wie können wir im Kriegsfall mit einer
Minderheit
siegen?" General von Freytag-Loringhoven umschreibt das Problem
in seiner Schlieffen-Biographie mit einem Kernsatz: "Die Ausgangslage
für
die Operationsstudien und Generalstabsreisen unter dem Grafen
Schlieffen
wie auch später unter seinem Nachfolger bildete stets der Z
w e i f r o n t e n k r i e g." Der kluge und historisch versierte Mann
erkannte genau, in welche schwierige Lage die Politik das Deutsche
Reich
durch die Nichtverlängerung des Rückversicherungsvertrags mit
Rußland hineinmanövriert hatte. Sein langjähriger
Leibarzt,
Obergeneralarzt Dr. Hugo Rochs, der einer der ganz wenigen Menschen
war,
den Schlieffen zu seinen "Freunden" zählte, beschreibt in seinem
Buch
"Schlieffen", wie der große Stratege sich mit diesem Problem
auseinandergesetzt
hat: "Wir befanden uns in derselben Lage wie Friedrich der Große
vor dem 7jährigen Krieg, wie denn Schlieffen überhaupt mit
seinem
ganzen historischen Verständnis den kommenden Krieg als einen
vollkommenen
Paradefall zum dem 7jährigen auffaßte. Wie vor 150 Jahren
das
Kriegsziel der Gegner Friedrichs es war, daß ihnen zu
mächtig
gewordene Preußen auf den Stand einer Markgrafenschaft
Brandenburg
herabzudrücken, so hatten sich jetzt als "Entente" die alten
europäischen
Großmächte England, Frankreich und Rußland gegen das
emporgewachsene
Deutsche Reich vereinigt...!"
Unter diesen Bedingungen arbeitete er unermüdlich. Von Jahr zu Jahr, von Plan zu Plan wurden seine Ideen kühner und gewaltiger, wie es die zunehmende Gefahr, die Deutschland von allen Seiten bedrohte, verlangte. Schließlich entstand im Jahre 1905 eine Denkschrift. Dieses Werk ist als der eigentliche "Schlieffenplan" zu bezeichnen. In ihm stellt er dar, wie er sich den Aufmarsch und die Kräfteverteilung des Deutschen Heeres vorgestellt hat. Aus diesem großen Vermächtnis sind im Band 1 des vom Reichsarchiv herausgegeben Werkes "Der Weltkrieg 1914-1918" die Kernsätze wiedergegeben: " Ganz Frankreich muß als eine große Festung betrachtet werden. Von der äußeren Enceinte ist der Teil Belfort-Verdun fast uneinnehmbar, die Strecke Mezieres-Maubeuge-Lille-Dünkirchen aber nur lückenhaft befestigt und vor der Hand fast gar nicht besetzt. Hier müßen wir in die Festung einzudringen versuchen. Ist uns dies gelungen, so wird sich eine zweite Enceinte, wenigstens das Stück einer solchen, zeigen, nämlich anschließend an Verdun die Stellung hinter der Aisne, Reims und La Fere. Dieses Stück Enceinte kann aber nördlich umgangen werden. Der Festungserbauer hat wohl mit einem Angriff der Deutschen von südlich der Maas-Sambre her, aber nicht mit einem solchen von nördlich dieser Flußlinie gerechnet." Mit einer derartigen Operation dehnte sich der Kriegsschauplatz über ganz Belgien und Nordfrankreich aus. Dem mußte der deutsche Aufmarsch von Hause aus Rechnung tragen durch eine sehr erhebliche Verlängerung seines rechten Flügels nach Norden und durch Verlegung des Schwergewichts auf diesen Flügel. |
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Wir wollen an dieser Stelle nicht tiefer
in operative
Studien einsteigen, sondern uns nur noch mit dem eigentlichen Kern des
Planes auseinandersetzen, der sich mit der Verteilung der Kräfte
beschäftigt.
Generalfeldmarschall Graf von Moltke hat das Wort geprägt,
daß
sich "Fehler, die im Aufmarsch gemacht werden, immer rächen und
fast
nie kompensiert werden können." Deshalb soll hier nochmal der
Grundgedanke
des Schlieffenplans in 10 Punkten dargestellt werden:
1. D e f e n s i v e im Osten, O f f e n s i v e im Westen 2. Die Defensive im Osten muß mit w e n i g e n Truppen stattfinden, ggf.. Rückzug in das Landesinnere 3. Die Offensive im Westen mit einem extrem starken rechten Flügel w e i t a u s h o l e n d durchführen 4. Kavallerie m a s s i e r t auf dem rechten Flügel v o r a u s 5. S t r i k t e Defensive auf dem linken Flügel, notfalls Preisgabe von Elsaß und Lothringen und Rückzug über den Rhein, u.U. sogar bis zum Schwarzwald 6. S c h w e n k u n g s p u n k t des rechten Flügels (quasi wie eine "Türangel") etwa bei Verdun 7. Südlich davon nur s c h w a c h e Truppen, überwiegend L a n d w e h r 8. Alles entscheidender Faktor ist die S c h n e l l i g k e i t , mit der der Auf- und Vormarsch durchgeführt wird 9. Nach einem s c h n e l l e n Vorstoß auf dem rechten Flügel, der Zertrümmerung des Feindes von der Flanke her und der Einnahme von Paris erfolgt eine Umgruppierung, die nun s e h r s t a r k e Truppenteile an die Ostfront bringt und die dort die eingedrungenen russischen Truppen vernichten 10. Zur Abwehr einer möglichen Landung der Engländer in Schleswig-Holstein oder eines Eingreifen seitens Dänemarks werden vorläufig nur s c h w a c he L a n d w e h r k r ä f t e zurückgehalten, die ggf. bei einem Nichtbenötigen in Norddeutschland dem rechten Flügel nachgeführt werden können Graf Schlieffen hat es also unter militärischen Aspekten sogar in Kauf genommen, daß notfalls deutsches Land zeitweilig geopfert werden mußte, um, und daß ist besonders wichtig, die oben schon angeführte alles entscheidende Frage positiv beantworten zu können: "Wie können wir im Kriegsfall mit einer Minderheit siegen?" Basis hierfür ist also, daß er
an einer,
der für ihn entscheidenden Stelle, eine enorme Übermacht
anhäufte,
um hier den schnellen strategischen Sieg zu erringen. Der
gefährlichste
Gegner war für ihn Frankreich, unabhängig ob mit oder ohne
englische
Unterstützung. Daher mußte sich der Hauptstoß gegen
diesen
Feind richten. Die russische Führung hielt er für
schwerfälliger
und operativ nicht so wendig, obwohl er den einfachen Soldaten in Bezug
auf Mut und Einsatzwille durchaus schätzte.
Für seinen Nachfolger, den
jüngeren Moltke,
war der Plan offenbar zu kühn. Entgegen Schlieffens Rat wurde vom
Jahre 1909 ab das Kräfteverhältnis zwischen dem rechten und
dem
linken deutschen Flügel geändert. Im Plane des Grafen
Schlieffen
war dieses Verhältnis noch 7:1, nun verschob es sich auf
3:1!
Damit ist fundamental gegen den "originalen" Schlieffenplan
verstoßen
worden, und daß, was davon letztendlich im August 1914
übrigblieb,
waren nur noch rudimentäre Reste eines großen Gedankens.
Durch
die Anhäufung von Kräften im Elsaß und in Lothringen
war
die Gefahr heraufbeschworen worden, daß diese Truppen sich an der
französischen Festungsfront die Köpfe blutig einrennen
würden.
Und genau so ist es dann auch im 1.Weltkrieg geschehen.
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Auf der Basis dieser Kräfteverteilung hatte Graf Schlieffen den Operationsplan, wie in der linken Skizze dargestellt, angelegt, die tatsächlich Lage zu Beginn der Marneschlacht 1914 nach der operativen Führung von Moltke ist rechts zu erkennen: |
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Deutlich ist der Unterschied zu erkennen.
Schlieffen
wollte westlich um Paris herumgehen, tatsächlich stand die
deutsche
Front dann aber im Osten der französischen Hauptstadt. Und auch
die
strategischen Reserven, die im August und September aufgestellten
Ersatzeinheiten
und Reservekorps, sind von Schlieffen schon vorausschauend
überwiegend
auf dem rechten Flügel in Ansatz gebracht.
Es mußten erst Jahrzehnte vergehen, bis sich Historiker trauten, zu behaupten, der Schlieffenplan wäre ja doch aus den unterschiedlichsten Gründen undurchführbar gewesen (z.B. Ritter, "Der Schlieffenplan"). Ein Beweis, weder für diese These, noch für das Gelingen, konnte nicht erbracht werden. Aber, und daß ist die große Bedeutung dieser Idee, es bestand doch zumindest die C H A N C E, daß ein schneller, strategisch entscheidender Sieg gelingen konnte. Die Gelegenheit, dem Grafen Schlieffen Recht zu geben, ist durch seinen Nachfolger verpaßt worden. Er selbst hat den Weltkrieg auch nicht mehr erlebt. Am 4.Januar 1913 starb er nach kurzer Krankheit im Alter von fast 80 Jahren, geistig immer noch rege. |
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(von Fritz Klimsch) |
Über seine Nachfolge hat Graf
Schlieffen sich
kaum geäußert, und den Generaloberst v.Moltke auch nicht
vorgeschlagen.
Der einzige Name überhaupt, den er einmal in's Spiel brachte, war
der des späteren Generalfeldmarschalls Colmar Freiherr v.d.Goltz.
Dieser war aber dem Kaiser nicht genehm, und so kam es, daß ein
Mann
an die Spitze des deutschen Heeres trat, der eine ehrenvolle vornehme
Persönlichkeit
war, einen großen Namen trug, seiner Aufgabe aber trotz aller
Bemühungen
letztendlich doch nicht gewachsen war.
Hartnäckig hält sich die Legende,
Graf Schlieffen
hätte noch auf dem Sterbebett die letzten Worte gehaucht: "Macht
mir
den rechten Flügel stark!" So oft er zu Lebzeiten darauf
hingewiesen
hatte, so völlig anders liefen seine letzten Minuten ab. Sein
Arzt,
Obergeneralarzt Dr.Rochs, hat in seinem Buch "Schlieffen" diese letzten
Worte wiedergegeben. Rochs schreibt: "In seinen Fieberphantasien gingen
Geschichtliches, Politik, Krieg, Schlachtbeschreibungen und
Familienstiftung
durcheinander. In lichten Augenblicken bekundetet er volle Kenntnis
seiner
Krankheit, so äußerte er gelegentlich: "Also Kopfrose",
dann "Merkwürdig, dieser Kräfteverfall". Seine
letzten
Worte waren: "Kleine Ursachen, große Wirkungen".
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General Groener schreibt in seinem Buch
"Das Testament
des Grafen Schlieffen" einen bedeutungsvollen Satz, in dem er Friedrich
den Großen mit dem Grafen Schlieffen in Verbindung bringt:
"... beiden Erblassern ist ihre Absicht mißlungen, und Preußen wie Deutschland konnten den ihnen offenbar vorausbestimmten Niederlagen nicht entgehen." |
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