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Auf der Flotte ist die Revolution zuerst
zum Ausbruch
gekommen. Dies hat ganz spezielle Gründe. Die Tätigkeit der
Hochseeflotte
mußte sich in den Jahren 1917 bis 1918 völlig dem
U-Boot-Krieg
unterordnen, größere Unternehmungen fanden nicht statt. Auf
See fand letztendlich das Gleiche statt wie auf dem Festland, ein
"Stellungskrieg".
Im August 1918 vollzog sich eine grundlegende Änderung in der
Seekriegsleitung.
Als der Chef des Admiralstabes, Admiral v.Holtzendorff, erkrankte,
wurde
Admiral Scheer, der die deutschen Seestreitkräfte in der
Skagerrak-Schlacht
geführt hatte, sein Nachfolger. Auf seinen Antrag hin wurde ihm
die
e i n h e i t l i c h e Seekriegsleitung mit entsprechender
Befehlsbefugnis
übertragen. Vizeadmiral Hipper übernahm als sein Nachfolger
den
Befehl über die Hochseeflotte. Als unter dem Druck der Wilsonnoten
der U-Boot-Krieg eingestellt wurde, stand Admiral Scheer vor einer
neuen
Lage. Agentenmeldungen hatten die Nachricht gebracht, daß die
Engländer
möglicherweise planten, in Holland zu landen, um dem rechten
deutschen
Heeresflügel in den Rücken zu fallen. Das hätte eine
Katastrophe
bedeutet, zur Zusammenbruch der Landfront wäre die Folge gewesen.
Es war auch im Bereich des Denkbaren, daß Holland in einem
solchen
Fall keinen Widerstand leisten würde. Man mußte auch
berücksichtigen,
daß die Entente, trotz aller Übermacht, immer noch keinen
Durchbruch
erzielt hatte. Ein Stoß durch das neutrale Holland konnte ebenso
wie die für den 14.November geplante Offensive gegen die deutsche
Südfront die Möglichkeit eröffnen, noch während die
Verhandlungen um einen Waffenstillstand liefen, die Deutschen
militärisch
zu einer bedingungslosen Kapitulation zu zwingen.
Aus diesen Überlegungen heraus hielt Admiral Scheer nun den Zeitpunkt für gekommen, die Hochseeflotte einzusetzen und befahl der Hochseeflotte das Auslaufen zum Angriff gegen die englische Flotte. Nach bereits vorbereiteten Plänen sollte die deutsche Flotte den Feind etwa nördlich des Kanaleingangs treffen. Ziel war dabei, das Transportwesen der Engländer umzuwerfen und seine Absichten und Handlungen zu durchkreuzen, um so eine völlig neue Lage zu schaffen. Gelang der Plan, so wäre eine wesentliche strategische Entlastung der deutschen Landfront eingetreten. Entgegen der Behauptung, Admiral Scheer hätte eigenmächtig gehandelt, war am 18.Oktober der Kaiser unterrichtet worden, und auch der Reichskanzler hatte eine entsprechende Information erhalten. Prinz Max v.Baden bestätigt das in seinen "Erinnerungen", fügt allerdings hinzu, er habe aus den allgemeinen Wendungen nicht herauslesen können, daß die Flotte innerhalb der nächsten 10 Tage den Kampf suchen würde. Weiter schreibt der Reichskanzler: "Wurde der Sieg erfochten ... dann war dem bedrängten Heer und der mit täglich steigender Ungeduld leidenden Heimat ein gewaltiger Auftrieb zum Durchhalten gegeben. Nach einem Flottensiege wären Revolution und Kapitulation um 9. und 11.November nahezu eine seelische Unmöglichkeit gewesen. Wenn aber auch unsere Flotte eine ruhmreiche Niederlage erleiden, ja wenn wirklich ihre letzte Fahrt die Todesfahrt sein würde, so war dennoch die militärisch-politische Zweckmäßigkeit unbedingt zu bejahen." So sah man gut vorbereitet und voller Hoffnung dem Unternehmen entgegen, daß am 28.Oktober beginnen sollte. Vizeadmiral v.Throtha, der Chef des Admiralstabs der Hochseeflotte, hat im Jahre 1925 im sogenannten "Münchner Dolchstoßprozeß" vor den Richtern ausgesagt: "Es hat kein Flottenunternehmen gegeben, daß so stark, so sicher, und so erfolgreich hatte vorbereitet werden können ...!" Als am 28.Oktober das Geschwader den Befehl
zur Versammlung
bei Wilhelmshaven erhielt, kam es zu schweren Ausschreitungen und
Gehorsamsverweigerungen.
Der Reichskanzler Prinz Max v.Baden schreibt in seinen "Erinnerungen"
hierzu:
"Die Aufrührer auf der Flotte haben der nationalen Verteidigung
das
Rückgrat gebrochen." So mußte zuerst einmal der Zeitpunkt
des
Auslaufens auf den 30. verlegt werden. Aber die Meuterer beharrten auf
ihrem Widerstand, Befehle zum Dampfaufmachen und Ankerlichten wurden
von
einzelnen Schiffen nicht befolgt. Es gelang nicht, des Aufstandes Herr
zu werden, und so mußte das Unternehmen aufgegeben werden.
In Berlin und München hatten sich eigene Revolutionsherde gebildet, auch hier waren Matrosen wesentlich beteiligt. Die Unabhängigen Sozialdemokraten hatten für den 9.November die Parole zum Generalstreik ausgegeben und der Spartakusbund rief offen zum Umsturz auf. Die radikalen Gruppen hatten die Aufruhr planmäßig organisiert, während sich die Führer der Mehrheitssozialisten zuerst einmal abwartend verhielten. Ausschlaggebend für die schnelle
Verbreitung des
Umsturzes war unter anderem der Sieg der Revolutionäre in Berlin.
Dies wäre aber nicht möglich gewesen, wenn der Boden
hierfür
nicht schon von langer Hand vorbereitet worden wäre. So war der
Flottenvorstoß
am 28. nur der äußere Anlaß.
Über den unmittelbaren Anlaß
sagt der Ausschuß,
daß die Gehorsamsverweigerungen einiger Besatzungen darauf
zurückzuführen
sind, daß die betreffenden Mannschaften innerlich zermürbt
und
von der Bewegung im Lande erfaßt waren. Sie glaubten, daß
auch
durch eine siegreiche Schlacht der Ausgang des Krieges feststehe,
deshalb
wäre der Einsatz der Flotte aus Prestigegründen befohlen
worden.
Außerdem waren sie der Meinung, die Regierung des Prinzen Max
v.Baden
sei mit dem Flottenstoß nicht einverstanden und die Verhandlungen
über einen Waffenstillstand würden unmöglich werden.
Daher
waren sie der Meinung, es wäre nutzlos, zu diesem Zeitpunkt noch
das
Leben einzusetzen. Diese Auffassung unter den Mannschaften habe
von
Außen her Stütze und Kräftigung erfahren.
Der Untersuchungsausschuß hat sehr vorsichtig formuliert, um größtmöglichen politischen Konsens zu erreichen. Dies alles ändert aber nichts an der Tatsache, daß Soldaten sich vor dem Feinde geweigert haben, die gegebenen Befehle auszuführen. Ein militärisches System kann aber selbst in Friedenszeiten n i c h t funktionieren, wenn sich jeder Soldat vorbehält, selbst darüber zu entscheiden, ob eine befohlene Handlung militärisch Aussichtsreich und politisch Zweckmäßig ist. Die Aufrührer auf den Schiffen können daher nicht von dem Makel der Meuterei freigesprochen werden. Fast man alle Umstände zusammen, die
Zermürbung
des Volkes durch Hunger und Propaganda, die Erschöpfung des Heeres
und dessen politischer Unterwühlung, so wird es verständlich,
daß die Revolution von der Flotte und dem Land auch auf die im
Felde
stehende Armee übergriff. Der 9.November war der unheilvolle Tag
in
Spa. Bedingt durch die völlig außer Kontrolle geratenen
Umstände
hinter der Front schloß sich der Kaiser, in das Exil nach Holland
zu gehen. Doch da war schon vorschnell in Berlin die Abdankung des
Monarchen
verkündet worden. Der Kaiser übertrug den Oberbefehl
über
das Heer dem Generalfeldmarschall von Hindenburg. Zwar konnte die
militärische
Führung die Kampftruppen noch halbwegs in der Hand behalten, aber
bei den Etappeneinheiten, bei den Stäben und Ersatzformationen
lösten
sich nun alle Bande von Zucht und Ordnung. Tausende von "Versprengten",
Drückebergern und Fahnenflüchtigen schlossen sich dem
tumultartigen
Treiben an. Der Gehorsam galt als überlebt, ein furchtbares Bild
bot
sich hinter der Front dar. Fahrzeuge wurden an die belgische
Zivilbevölkerung
verkauft, ja selbst Waffen und Munition, zum Teil sogar
Maschinengewehre.
Verbrüderungen mit dem Mob fanden statt, man hatte die
Gefängnisse
gestürmt und Verpflegungszüge geplündert. Es gab Bilder
von Soldaten und Zivilisten, die um den Inhalt kämpften. Meuterer
stürmten sogar die Transportzüge und zwangen dann unter
Waffengewalt
das Eisenbahnpersonal, sie nach Hause zu fahren.
Daß die Soldatenräte mit ihren
Maßnahmen
in den meisten Fällen der noch k ä m p f e n d e
n
Truppe in den Rücken fielen, daran dachte in jenen Tagen wohl kaum
einer dieser Herren. Dadurch kam nach dem Weltkrieg ein Begriff auf,
der
zu den umstrittensten der ganzen Zeit gehört und noch in diesen
Tagen
oft in einen falschen Zusammenhang gebracht wird: der
"Dolchstoß".
Von wenigen Ausnahmen abgesehen wußten alle Soldaten, egal welchen Dienstgrad sie hatten, daß der Krieg im Herbst 1918 verloren war. In seinem Buch "Der Weltkrieg 14/18, Band 2, schreibt der damalige General der Infanterie Hermann v.Kuhl ganz eindeutig: "Es soll keineswegs behauptet werden, daß wir den Krieg durch den Dolchstoß, den die Heimat in den Rücken des Heeres geführt habe, verloren hätten. Es ist eine starke Übertreibung, von einem siegreichen Heer zu sprechen, das den Dolchstoß von der Heimat erlitten habe. Der Krieg war seit dem Sommer verloren." Das sind klare Worte. Heute wird durch den Begriff
"Dolchstoß" mit
dem Anhang "Legende" immer unterstellt, daß n u r
durch
die Revolution der Krieg verloren gegangen sei. Diese Definition ist
also
nicht der ursprünglich Sinn. Zwar hat es im Laufe der Zeit Kreise
gegeben, die inhaltlich diese Aussage vertreten und publik gemacht
haben,
im Sinne derer, die ihn aber zuerst gebraucht und geprägt haben,
war
das nicht. Man muß also sehr wohl unterscheiden, was die Soldaten
an der Front haben ausdrücken wollen, und was hinterher daraus
gemacht
wurde.
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