Die Neuaufstellungen von 1914

Bei den großen Heeresvermehrungen von 1914 im September und Dezember handelt es sich um klassische neu aufgestellte Einheiten, die in der Heimat zusammen gestellt wurden. Die Verfahren, die dabei angewendet wurden, waren jedoch höchst unterschiedlich. Deshalb kann mit Fug und Recht behauptet werden, daß das Ergebnis im ersten Fall in einem Desaster endete, im zweiten jedoch ein Erfolg wurde.

Die ersten Neuformationen großen Stils waren im September 1914 folgende:

XXII. Reservekorps mit 43. und 44.Reservedivision
XXIII. Reservekorps mit 45. und 46.Reservedivision
XXIV. Reservekorps mit 47. und 48.Reservedivision
XXV. Reservekorps mit 49. und 50.Reservedivision
XXVI. Reservekorps mit 51. und 52.Reservedivision
XXVII. Reservekorps mit 53. und 54.Reservedivision

Hierzu kam noch eine zusätzliche, von Bayern aufgestellte Division, die 6. bayerische Reservedivision.

Schon bei der Gliederung fällt auf, daß keine Infanterie-Brigadeverbände gebildet worden sind. Somit gibt es anfangs auch keine Brigadekommandeure, sondern nur einen Brigade-Infanterieführer für jede Division. Dieser hatte den taktischen Einsatz von vier Infanterie-Regimentern und zwei Jäger-Battaillonen zu leiten, unter den gegeben Umständen eine kaum lösbare Aufgabe. Auch überrascht der starke Mangel an Artillerie und entsprechenden Führern. Da nur ein Feldartillerie-Regiment in der Division vorhanden ist, gibt es folglich auch keinen Brigadeverband, selbst einen Artillerie-Führer, der dem Divisionskommandeur als Berater zur Seite stehen könnte, war nicht vorhanden. Schon hier merkt man, daß sich Fehler, die bei der Aufstellung der Reservedivisionen (die z.B. auch nur ein Feldartillerie-Regiment hatten) zu Beginn des Krieges gemacht wurden, wiederholen.

Was die absolut unzureichende Ausbildung und Ausrüstung betrifft, so ist in dem Abschnitt "Der Soldat, seine Familie und die Heimat" ein Bericht, auf den in diesem Zusammenhang verwiesen wird.

Die Fehler, die von vielen Fachleuten jedoch als entscheidenden bezeichnet werden, liegen im personellen Bereich und in der Art des ersten Einsatzes. Die Truppen bestanden überwiegend aus Kriegsfreiwilligen und älteren Reservisten sowie aus Offizieren, die zum großen Teil schon seit längerer Zeit aus dem aktiven bzw. dem Reserve- oder Landwehrverhältnis ausgeschieden und somit entweder schon pensioniert oder zur Disposition gestellt waren. Bei diesen Vorgaben tat die überaus kurze Ausbildungszeit von acht Wochen ihr Übriges hinzu.
In diesem Zustand wurde die junge Truppe ins Felde geschickt und mußte sofort an den schwersten Kämpfen, den Schlachten in Flandern im Herbst 1914, teilnehmen. 

Sicherlich läßt sich das Argument, daß die Not dazu zwang, nicht völlig von der Hand weisen. Die schlimmen Konsequenzen, die dieses Verfahren jedoch hatte, zeigen klar, daß der Weg, den man bestritten hatte, falsch war. Denn aller Opfermut und alle Hingabe konnte die fehlende Ausbildung, die Gewöhnung an die Strapazen sowie die veränderten Verhältnisse gegenüber dem Kriege 1870/71 nicht ersetzen. So muß klar erkannt werden, daß unersätzliches junges Menschenmaterial, aus dem später auch neue Führer hätten rekrutiert werden können, dahin ging. Was die älteren Offiziere betrifft, so darf man ihnen eines mit Sicherheit nicht vorwerfen - fehlenden Opfermut. Sie starben genau wie ihre Mannschaften, meistens an deren Spitze. Aber viele waren auch einfach körperlich nicht mehr in der Lage, einen solchen Feldzug durchzustehen. Einige "alten Herren" hatte den Krieg gegen Frankreich noch mitgemacht und hier und da trug einer sogar noch das Eiserne Kreuz aus dieser Zeit!
 

Die zweite große Neufaufstellung erfolgte im Winter 1914. Durch Erlaß des Kriegsministeriums vom 13.11.1914 wurde die Errichtung von 81 sogenannten Feld-Infanterie-Bataillonen in der Heimat angeordnet, die als IV.Bataillone für die bestehenden Regimenter in Aussicht genommen waren. Doch bereits im Dezember ließ man diese Absicht fallen und schuf neun neue Reservedivisionen (davon eine aus Bayern), die - ohne die bayerische - in vier neuen Korps zusammen gefaßt wurden:

XXXVIII. Reservekorps mit 75. und 76.Reservedivision
XXXIX. Reservekorps mit 77. und 78.Reservedivision
XXXX. Reservekorps mit 79. und 80.Reservedivision
XXXXI. Reservekorps mit 81. und 82.Reservedivision

Hier war nun endlich aus den Fehlern gelernt worden. Brigadeverbände waren gebildet, erfahrene Obristen oder Generalmajore führten sie. Die neue "Dreiergliederung" (d.h. nur noch eine Infanterie-Brigade in der Division, diese aber mit drei Infanterie-Regimentern, war schon eingeführt worden. Die Artillerie, nun zwei Feldartillerie-Regimenter je Division, war, wie die aktiven Divisionen, zu einer Feldartillerie-Brigade zusammen gefaßt worden. Auch hier war ein schon kriegserfahrener höherer Offizier als Kommandeur eingesetzt.
Allerdings muß man gestehen, daß die Bedingungen für diese Aufstellungen wesentlich günstiger waren, als im Spätsommer des Jahres 1914. Viele Offiziere und Mannschaften waren von ihren ersten Verwundungen wieder hergestellt und wurden den neuen Verbänden zugewiesen. Aber auch aus der Front wurde eine größere Anzahl von Offizieren und Mannschaften zurückgeschickt, sodaß jedes neue Bataillon über einen großen Stamm kampferprobter und erfahrener Soldaten verfügte.

Diese neuen Divisionen haben sich unter den denkbar schwersten Verhälnissen (z.B. in der Winterschlacht in den Masuren) glänzend bewährt und gezeigt, was bei richtiger Organisation auch völlig neu aufgestellte Truppenteile leisten können.


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