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Die Vorgänge, die sich in den ersten
Novembertagen
des Jahres 1918 im großen Hauptquartier in Spa abspielten,
zählen
wohl zu den Ereignissen des 1.Weltkriegs, die mit den meisten Legenden
behaftet sind. Die Ursache dafür liegt wohl einerseits darin
begründet,
daß bei dem Ablauf nicht immer der gleiche Kreis von Personen
beteiligt
war, andererseits bei der Schilderung der Darstellungen bei einigen
Autoren
unterschwellig ein "Rechtfertigungssyndrom" auftritt, was dem
Wahrheitsgehalt
nicht unbedingt förderlich ist. So ist es natürlich im
Nachhinein
äußerst schwierig, eine lückenlose historisch
einwandfrei
gesicherte Schilderung zu erhalten. In dieser Abhandlung soll daher der
Versuch unternommen werden, die einzelnen Aussagen zu sammeln und
gegenüber
zu stellen, um so Fakten und Eventualitäten besser erkennen zu
können.
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Als Grundlage sollen die Darstellungen des
Hauptbeteiligten,
Kaiser Wilhelm II., dienen. Es ist ein Gebot der Fairness, ihn zuerst
zu
Wort kommen zu lassen. In seinem Buch "Ereignisse und Gestalten
1878-1918"
hat er diesem Thema mehrere Seiten gewidmet.
Soweit die Darstellung der Abläufe aus Sicht des Kaisers selbst. Auch wenn nicht sehr detailliert berichtet wird, so ist doch zu erkennen, daß 1. der Druck auf den Monarchen durch die
propagandistischen
Umtriebe der Revolution in der Öffentlichkeit immer
größer
geworden war.
So kann man die Dinge nun sehen, wie man will. Fest steht, daß der Kaiser am 10.November 1918 in das Exil nach Holland gegangen ist. Aber klar ist im Detail noch immer nicht, wieso sich die Dinge doch so dramatisch zugespitzt haben, daß dieser Schritt unumgänglich wurde. Deshalb wollen wir uns jetzt den Aufzeichnungen eines Mannes zuwenden, der wohl so häufig wie kein anderer zu der damaligen Zeit aus rein dienstlichen Gründen in unmittelbarer Nähe der Kaisers gewesen ist. |
Oberstleutnant Alfred Niemann war von
August bis November
1918 als Major von der OHL, und zwar vom Feldmarschall v.Hindenburg
selbst,
zum Kaiser als "persönlicher Generalstabssoffizier" abkommandiert
worden. Man kann seine Funktion auch als die eines
"Verbindungsoffiziers"
zwischen der Spitze der OHL und dem Monarchen beschreiben. In seinem
Buch
"Kaiser und Revolution" erläutert er die Vorgänge aus seiner
Sicht. Von großer Bedeutung ist hierbei, daß er bei den
meisten
Gesprächen und den wichtigsten Ereignissen persönlich
anwesend
war. Hindenburg und Ludendorff hatten dem Major damals vollen Einblick
in die militärische Situation gegeben, er war also über die
tatsächlichen
Verhältnisse an der Front auf das Beste informiert. Oberst
Bauer
hatte ihn über die Situation in der Heimat in Bezug auf
Rüstungsangelegenheiten
in Kenntnis gesetzt, Oberst Bartenwerffer über die wichtigsten
außenpolitische
Fragen. Auch alle anderen Mitarbeiter in der OHL unterstützten ihn
mit Informationen.
Diese Schilderung läßt uns erkennen, wie dramatisch die Vorgänge waren. Vieles, was der Kaiser in seinem Buch veröffentlicht hat, wird bestätigt und präzisiert. Aber auch Oberstleutnant Niemann war nicht in jeder Minute anwesend. So müssen wir doch noch weitere Augen- und Ohrenzeugen bemühen, um die Vorgänge weiter zu durchleuchten und auch die Darstellung anderer Beteiligter zu erfahren. |
General der Infanterie Kronprinz Wilhelm v.Preußen war zu der Zeit dieser Vorgänge Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Kronprinz Wilhelm. Auch er geht in seinem Buch "Erinnerungen" auf die Ereignisse im großen Hauptquartier im November 1918 ein. Dabei ist von Bedeutung, daß weite Passagen der Ereignisse vom 9.November vormittags, bei denen er nicht selbst anwesend war, von seinem Generalstabschef Graf v.d.Schulenburg erzählt werden. Im Text wird darauf hingewiesen. Auch ist es wichtig, festzustellen, daß Graf v.d.Schulenburg diesen Darstellungen niemals widersprochen hat, sie sind also als glaubwürdig zu betrachten. Schon im Vorfeld berichtet der Kronprinz
von der schwierigen
Situation an der Front und einigen persönlichen Erlebnissen. Es
ist
allgemein bekannt, daß der Thronfolger bei den Soldaten sehr
beliebt
war. Er hatte immer ein offenes Ohr für ihre Sorgen, sprach sie
an,
wenn er sie auf dem Marsch traf, verteilte Zigaretten und scherzte mit
ihnen. Die Feldgrauen akzeptierten ihn ales "einen von ihnen". Um so
mehr
schmerzte ihn der Zustand der Truppe im Oktober 1918. Er berichtet,
daß
er auf einer Fahrt mit seinem Ordonanzoffizier Zobeltitz am 5.November
erstmals rote Fahnen bei einem in der Nähe von Givet haltenden
Urlauberzug
erblickte. Sofort ließ er seinen Kraftwagen anhalten und stieg
aus.
Radaubrüder riefen ihm die damals typischen Parolen entgegen:
"Licht
aus! - Messer raus!". Der Kronprinz berichtet, daß er die
Soldaten
zum aussteigen aufgefordert habe. Es sollen Bayern gewesen sein, die
aus
Flandern von den schlimmen Rückzugsgefechten kamen. Ein
Unteroffizier
kam ihm sofort in herausfordernder Weise entgegen. Wilhelm lief den
Mann
in barschen Ton Haltung annehmen, und siehe da, er hatte Erfolg. Dann
sprach
er in eindringlicher Weise mit den Männern und versuchte, ihr
Ehrgefühl
zu wecken. Daraufhin, so schreibt er weiter, trat ein ganz junger Mann,
ein Sachse, wohl gerade 17 Jahre alt, aber mit dem Eisernen Kreuz auf
der
Brust, vor und sagte: "Herr Kronprinz, nehmen sie es nicht übel,
es
sind nur dumme Redensarten, dabei denken wir uns gar nichts, wir haben
sie ja alle gern und wissen, daß sie immer für ihre Soldaten
sorgen. Sehen sie, wir fahren jetzt schon drei Tage Eisenbahn und sind
überhaupt noch nicht verpflegt worden. Kein Mensch kümmert
sich
um uns, Offiziere sind gar nicht mehr beim Transport. Seien sie uns
nicht
böse." Dann sagte er: "Wir wissen, sie haben immer Zigaretten
für
tüchtige Soldaten bei sich - zu rauchen haben wir auch nichts
mehr."
Der Kronprinz gab, was er hatte, die Situation war gerettet.
Der Kronprinz betont dann, das er die Einzelheiten des weiteren Verlaufs, die er nun - den Verlauf des Nachmittags und Abend des 9.November betreffend - schildere, von seinem Vater, Herren seiner Umgebung sowie aus ihm zugänglichen Niederschriften einzelner beteiligter Person später erfahren habe. Danach habe am Nachmittag eine weitere
Besprechung
stattgefunden. Der Kaiser sei "aufs schärfste" bedrängt
worden,
die Abdankung auszusprechen und nach Holland zu gehen.
Schließlich
habe der Monarch doch teilweise nachgegeben, es wurden "vorbereitende
Schritte"
für eine Reise getroffen. Zu Graf Dohna, der sich aus dem Urlaub
zurückmeldete,
sagte der Kaiser aber dann u.a., daß er trotz aller
Vorschläge
in Spa bleiben werde. Seinen zwei Flügeladjutanten gab er den
Auftrag,
sich Waffen zu besorgen, da der Feldmarschall gesagt habe, es
müsse
nun auch mit bolschewistischen Angriffen in Spa gerechnet werden.
Der Kronprinz bedauert rückschauend, nicht in Spa geblieben zu sein. Dann schreibt er weiter, der einzige Moment für eine Kaiserabdankung wäre Ende August gegeben gewesen, als sowohl Kaiser als auch Volk durch den militärischen Zusammenbruch und die Forderungen der OHL nach einem Waffenstillstand überrascht wurden. Diese Abdankung wäre dann freiwillig erfolgt. Im Oktober sei der Krone ein Recht nach dem andern abgepreßt worden. Als Letztes wurde dann die Abdankung gefordert, um so lauter, je mehr die feindliche Propaganda in dasselbe Horn stieß. Der Kronprinz stellt dann in seinem Buch weiter fest, daß die Revolution sich nicht gegen die Person des Kaisers, sondern gegen die Monarchie gerichtet habe. Abschließend beschreibt er nochmals im Rückblick, welchem enormen politischen Druck der Kaiser doch in den letzten Jahren ausgesetzt war und hofft auf Verstehen und Gerechtigkeit gegenüber seinem Vater. Wir erkennen nun langsam, wie sich die Vorgänge im großen Hauptquartier in Spa tatsächlich abgespielt haben könnten. Dennoch, um ein vollständiges Bild zu bekommen, müssen noch andere Beteiligte zu Wort kommen. |
Wir benutzen hier mit Absicht in der Überschrift den Begriff "Erzählung", denn der Generalfeldmarschall hat in seinem Buch "Aus meinem Leben" einen anderen Stil gewählt, als die vorherigen Augenzeugen es in ihren Werken getan haben. Schon im Vorwort weist er darauf hin, daß er kein Geschichtswerk verfassen wollte. Daher können wir auch keine Details erwarten, die die Vorgänge des 9.Novembers 1918 betreffen. Was wir lesen sind die gefühlsbetonten Schilderungen eines Mannes, der die Gründung des Reiches als junger Offizier selber miterlebt hatte, und der nun erkannte, daß das ganze große "Bismarcksche Werk" und mit jenem sein von ihm geachtetes legitimes Staatsoberhaupt zugrunde ging. Er berichtet, daß noch am 5.November
General
Groener nach Berlin gefahren sei, um für den Kaiser einzutreten.
Als
der Erste Generalquartiermeister dann am 6. nach Spa
zurückfährt,
entgeht er nur knapp den Revolutionären. Weiter skizziert er die
Situation
und schließt mit den Worten: "Wehe dem Besiegten!"
Macht sich jemand die Mühe und versetzt sich in die Psyche des Generalfeldmarschalls, so kann man seine Gedanken wohl gut verstehen. Wir wollen nun aber noch den Mann zu Wort kommen lassen, der von vielen als derjenige angesehen wird, der ausschlaggebend für den entscheidenden Akt des Dramas am 9.November 1918 war. |
Das Buch des Generalleutnants Wilhelm
Groener "Lebenserinnerungen"
ist erst 1957 erschienen und von Friedrich Freiherr Hiller von
Gaertringen
herausgegeben worden.
Am 30. wurde er zum ersten
Generalquartiermeister der
OHL als Nachfolger von General Ludendorff ernannt. Diese Ernennung
führt
er auf die Tatsache zurück, daß man in einflußreichen
Kreisen des großen Hauptquartiers lieber einen süddeutschen
General wünsche (Groener war Württemberger), "diese
würden
besser mit den Parlamentariern fertig als die Preußen." General
v.Kuhl
hätte abgelehnt, weil er sich der Aufgabe politisch nicht
gewachsen
fühle, und Generalfeldmarschall v.Hindenburg hätte
entschieden,
" Graf Schulenburg darf vom Kronprinzen nicht weg".
Groener zieht dann ein Fazit. Er lehnt die
Verantwortung
für die Abdankung des Kaisers in den Formen, wie sie sich
vollzogen
hat, strikt ab. Er sei ein Gegner der Abdankung gewesen, obwohl er
überzeugt
gewesen sei, daß die Person des Kaisers nicht zu retten gewesen
wäre.
Desweiteren lehnt er die Verantwortung ab für die Reise nach
Holland.
Er hätte dem Monarchen dazu nicht geraten, auch nicht mit ihm
darüber
gesprochen. Die Person des Kaisers in Spa hielt er für nicht
gefährdet.
Abschließend bemerkt er noch, wie sehr ihn die Vorgänge seelisch mitgenommen hätten. Auch für ihn sei die Welt damals zerschlagen worden. Erst später hätte er seiner Frau aus Wilhelmshöhe geschrieben: "Es waren schreckliche Tage, die ich in Spa verlebt habe". Damit schließen die Rechtfertigungen des Generals Groener, des letzten Ersten Generalquartiermeisters der OHL. Die doch offensichtlichen Widersprüche in einigen Punkten hat er zu erklären versucht. Ob ihm dies gelungen ist, mag jeder Leser selbst beurteilen. |
Wurde der Kaiser "abgedankt"? So fragten
wir uns zu
Beginn der Abhandlung. Wir wollen und können gar nicht die
unterschiedlichen
Darstellungen der einzelnen Beteiligten werten. Jeder von ihnen hat die
Dinge aus seiner ganz persönlichen Sicht gesehen, in seiner nur
ihm
selbst eigenen Gefühlswelt erlebt, und so kommt natürlich
auch
jeder zu eigenen Entschlüssen, Beurteilungen und Darstellungen.
Jeder
Leser mag für sich eigene Maßstäbe an das Geschilderte
legen, dem einen mehr und dem anderen weniger Glauben schenken.
Für
den Historiker ist es jedoch wichtig, mit den vielen Mosaiksteinchen,
die
man findet, ein sinnvolles - in diesem Falle wohl glaubwürdiges -
Ganzes zu gestalten. Dabei kommt zu Tage, wie verfahren doch die
Situation
am 9.November tatsächlich gewesen ist. Es dürfte unbestritten
sein, daß die Ereignisse die handelnden Personen in Spa in
großen
Bereichen schlichtweg überrollt haben. Vieles von dem, was
diskutiert
wurde, war nur noch Theorie. Das Kind w a r bereits in den
Brunnen gefallen!
Wir fassen daher bewußt an dieser
Stelle nochmals
die Alternativen zusammen, die der Kaiser an jenem Tage gehabt
haben
soll, da sie sich inhaltlich im Prinzip bei fast allen Autoren gleichen.
So kann man es nun Drehen und Wenden wie man will, am 9.November 1918 hatte Kaiser Wilhelm II. keine Chance mehr. Sein Gang in das Exil nach Holland löste eine verfahrene Situation. Aber, und das ist wichtig und muß festgehalten werden: An diesem Tage hat er nicht freiwillig abgedankt, alles Hin und Her hat dieses Ergebnis nicht gebracht. So muß man also sehr fein trennen: Der Gang nach Holland war seine Entscheidung - ob es nun die richtige war, muß jeder Leser selbst für sich entscheiden. Und es war l e d i g l i c h ein Gang in das E x i l ! Die Abdankung hat er, zumindest so, wie sie abgelaufen ist, nicht gewollt. Und schließlich, und auch das gilt es eindeutig festzuhalten, unterschrieb er seine Abdankung erst am 28.November 1918! Somit muß man feststellen: er wurde "abgedankt"! |
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