Falkenhayn - der Mann der Halbheiten

Neben Pershing und Großfürst Nikolai gab es wohl keinen großen militärischen Führer des Weltkriegs, der so sehr dem Bild eines vollkommenen Soldaten in seinem Äußeren entsprach, wie der Kriegsminister v.Falkenhayn. Die Ernennung des im großen Hauptquartier "gerade anwesenden" Generals, der dem Rang nach hinter den Armee- und Korpsführern rangierte, war das Werk der engsten Umgebung des Kaisers, deren Mangel an Menschenkenntnis sich für Deutschland auch schon in anderen Fällen verhängnisvoll ausgewirkt hatte. Die gewandte Art des Kriegsministers, sich in Hof- und Parlamentskreisen zu bewegen, gab den Ausschlag. Der Eindruck des Mannes war prachtvoll, seine Berufung hatte deshalb zuerst auch belebenden Einfluß auf die OHL. Ein ernstes Hemmnis war jedoch der Mangel an persönlicher Geltung bei seinen Untergebenen. Dies führte dazu, daß Falkenhayn hinter jeder sachlichen Kritik einen persönlichen Angriff vermutete, dem er oft in spöttisch-spitzer Schärfe entgegentrat. Einen Erfolg konnte er im Vorfeld für sich verbuchen, die Mobilisierung war tadellos vorbereitet und durchgeführt worden. 

Nach dem Scheitern an der Marne sollte Falkenhayn einen neuen Feldzugsplan schaffen.  Dies tat er unter Zugrundelegung eines Leitgedankens, den er so formulierte, daß die Kriegsentscheidung durch die Anfangsereignisse hinausgeschoben worden sei, dadurch drohe der Krieg sich auf lange Zeit auszudehnen. Dafür seien die Mittelmächte nicht vorbereitet, daher dürfe der Krieg nur unter Schonung aller Mittel und daher nur unter Anstrebung beschränkter Ziele geführt werden. Sonst drohe ein vorzeitiges Erlahmen. Der Ursprung dieser These ist wohl in dem Scheitern seiner Operationen im Westen im Herbst 1914 und den halben Erfolgen im Osten bis Anfang 1915 zu finden. So wirkte auch bei ihm das Zweifrontenproblem schon in den ersten Monaten seiner Amtszeit auf sein Denken und Handeln. Falkenhayn hielt am Westangriff noch fest, als er in den ersten Novembertagen schon festgerannt war und sandte dem Osten verspätet Hilfe.

Falkenhayns Auffassung bedingte den völligen Verzicht auf einen Sieg, sein höchstes Ziel war ein Remis. Ein derartiger Leitgedanke ist in der Militärgeschichte fast ohne Beispiel. So ließ er dem Gegner die Freiheit des Handelns, die Zeit zu immer neuen Angriffen und zwang den Verteidiger zu jenem zermürbenden Daueraushalten, das er selbst als unerträglich schilderte. Die Krönung dieses Verfahrens war die Verdunschlacht, dieser gänzlich neuartige Ausblutungsversuch,  der in seinen Auswirkungen die schwerste Niederlage des deutschen Heeres bis zu den Endkämpfen 1918 darstellte. Falkenhayns Auffassung war eine Halbwahrheit, denn die Annahme, daß die Mittelmächte an einem langen Krieg zugrunde gehen müssen, war richtig. Die Schlußfolgerung aber war falsch, man durfte sich nicht schonen, sondern mußte rasch und entschlossen mit allen verfügbaren Mitteln den Erfolg anstreben.

Schon bei seinem Dienstantritt entstand für ihn die Gefahr, daß das Duo Hindenburg-Ludendorff im Osten seinen Glanz überstrahlen würde.  Dienstrang, Alter, Entfernung und Erfolg erschwerten ihm seine Stellung gegenüber diesen Männern.  Hindenburg, sein "natürlicher Konkurrent" wurde von Tag zu Tag volkstümlicher, Falkenhayn nicht.  So war die Korrespondenz zwischen den beiden Heerführern gereizt. Auch mit dem österreichischen General Conrad hatte er seine Schwierigkeiten, so fand er in seinen Memoiren auch nach dem großen Kriege kein gutes Wort für ihn und seine Truppen, nur Tadel ist herauszulesen. Auch zeigte er nur sehr wenig Einfühlungsvermögen und eine Taktlosigkeit ersten Ranges war es geradezu, fast in krankhafter Gehässigkeit Conrad zu beschuldigen, auf die Entwicklung seines Heeres " nicht die notwendige Sorgfalt verwandt zu haben, er habe vielmehr fortgewurstelt, da die Deutschen sowieso helfen müßten". Man kann sich nun denken, auf welcher Grundlage sich der Verkehr mit dem um neun Jahre älteren österreichischen Generalstabschef abgespielt hat. Nur dem Kaiser gegenüber wußte Falkenhayn die Formen mit Gebühr zu wahren. 

Falkenhayn sah ein, daß der Osten Hilfe brauchte. Dennoch faßte er im September den Entschluß, lediglich Teile der in Ostpreußen frei gewordenen Truppen von dort nach Südpolen zu verlegen. Im Westen wollte er versuchen, nochmals die Initiative an sich zu reißen, ein durchaus richtiger Entschluß zu diesem Zeitpunkt. Zumal in dieser Zeit die neuen Reservekorps zur Verfügung standen. Falkenhayn unterstellte diesen Angriffen später fast ausschließlich nur den Schutz der belgischen Küste, doch hätte eine rein verteidigungsmäßige Anlage niemals das angestrebte große Ziel erfüllen können: die Freiheit des Handelns im Westen zu behalten! Aber die Offensive scheiterte, schon Ende Oktober stand er dieser Tatsache ziemlich klar gegenüber. Falkenhayn war erschüttert, seine pessimistische Grundeinstellung kam nun voll zur Geltung. So dauert es bis zum 22.November, ehe tropfenweise und nun verspätet die Verstärkungen nach dem Osten rollen. Falkenhayn konnte keine klare Wahl treffen, wo er den Erfolg suchen sollte. So kam es im Osten auch nur zu halben Erfolgen. Diese waren ihm Beweis, daß im Osten eine Feldzugsentscheidung doch nicht zu erreichen sei. Und dennoch ließ er die Kämpfe in Flandern erst Wochen später einstellen, nachdem er die Westfront schon zugunsten des Osten geschwächt hatte.

Kurze Zeit später entstand ein Vorfall der bezeichnend war. Hindenburg hatte den Österreichern Hilfe versprochen, drei deutsche Divisionen. Falkenhayn billigte diese Maßnahme nachträglich unter den Bedingungen, daß aber zusätzlich ein deutsches AOK beigegeben werden müsse, und das auch mindestens drei österreichische Divisionen unter dieses zu treten haben. Als Generalstabschef dieses AOK bestimmte er Ludendorff. Durch das Auseinanderreißen der beiden Sieger von Tannenberg wollte er die Stellung des Oberbefehlshabers Ost schwächen. Aber Falkenhayn hatte diesmal die Rechnung ohne den "Wirt Hindenburg" gemacht. Jener intervenierte beim Kaiser, und dieser wiederum machte die Versetzung Ludendorffs  rückgängig. 

In den ersten Monaten 1915 verfolgte Falkenhayn eine sonderbare Taktik gegen Österreich, So empfindlich er gegen deutschen Gebietsverlust war, so großzügig war er in seinen Vorschlägen, der Bundesgenosse solle, um Italien ruhig zu stellen, doch die geforderten Teile von Südtirol und Triest  abtreten, denn "man könne sie ja später wieder holen". Das eine solche Maßnahme das Gefüge des ganzen k.u.k.-Heeres erschüttert hätte, dafür hatte er kein Verständnis. Überhaupt blieb er Conrad gegenüber reserviert. Dessen Vorschlag, Italien anzugreifen, lehnte er ab, statt dessen bekam Gorlice den Vorzug. 

Im März 1915 trug sich Falkenhayn mit Angriffsabsichten im Westen, u.a. auch mit Plänen für einen Durchbruch auf Amiens. Die Lage im Osten war aber nicht entspannt. Da traf die Anfrage Conrads ein, ob vier deutsche Divisionen für einen Angriff auf Gorlice zur Verfügung ständen. Überraschend gab Falkenhayn Antwort und sagte sogar acht Divisionen zu. Er erkannte den Gedanken als fruchtbar und gab die Mittel unter Verzicht auf seine Pläne im Westen. So fand er zum ersten Mal den Mut, im Westen alles herauszuziehen, um im Osten einen großen Erfolg zu erringen. Und das Ergebnis war enorm, schon nach wenigen Wochen standen die Verbündeten in Südpolen. Da kam aber der alte Zweifel wieder hoch, er wollte Schluß machte. Conrad und Mackensen lehnten sich auf, man dürfe nicht auf halben Wege stehen bleiben. Falkenhayn ließ sich tatsächlich umstimmen und stellte nochmals neue Divisionen zur Verfügung. Auch sollte Hindenburg nun mit seinen Truppen am Angriff teilnehmen. Dieser hatte schon vorher in Kurland einen Ablenkungsangriff durchgeführt und wollte diesen Erfolg jetzt strategisch Ausbauen. Doch Falkenhayn beabsichtigte einen bescheidenen Angriff am Narew. Sofort begann darüber eine Auseinandersetzung, die sich den ganzen Sommer über hinzog. Wiederum gab der Verlauf der Dinge dem halben Entschluß unrecht. Der Sack bei Warschau war zu klein, die Russen dort zu stark zusammengedrängt, um ein Abschnüren zu ermöglichen. Falkenhayns Ansicht, der Russe sei doch nicht entscheidend zu schlagen, setzte sich durch. Richtig ist, daß auch bei voller Ausnutzung keiner der Schläge 1914/15 einzeln "feldzugsentscheidend" gewesen wären, wohl aber alle zusammen. Derartige materielle und moralische Verluste hätte auch das Russenheer nicht überstanden. 

Auch der Feldzug gegen Serbien war letztendlich nicht konsequent durchgeführt worden. Griechenland, das sich die Besetzung durch Ententetruppen hatte gefallen lassen, war von Conrad als weiterführendes Operationsziel ausersehen und auch die Bulgarien wollten nach Saloniki. Untätig lagen wochenlagen die Divisionen vor der Grenze. So gaben die folgenden Jahre der Entente die nötige Zeit, die Griechen in den Krieg zu drängen. Der entscheidende Augenblick war wieder verpaßt. 

Im Herbst 1915 kam Conrad wieder mit Vorschlägen für einen Angriff auf Italien zu Falkenhayn. Dieser lehnte nicht nur ab, nein, er unterrichtete seinen Partner noch nicht einmal über seine eigenen Pläne. Später begründete er dieses Verhalten damit, daß sie nicht in Conrads Befehlsbereich zur Ausführung kommen sollten. Im Westen standen Falkenhayn 17 Divisionen zur freien Verfügung, mehr waren nach den halben Kriegsmethoden, die keinen Gegner richtig erledigt hatten, nicht vorhanden. Nun passierte das Unfaßbare: Der gleiche Mann, der einen Entscheidungsschlag  gegen die Russen immer mit deren Stärke abgelehnt hatte, wollte jetzt gegen den, auch nach seiner eigenen Meinung, bestausgerüsteten Gegner am stärksten Punkt der Front angreifen. Ganz richtig bezeichnete er Frankreich als das Schwert Englands. In logischer Folge hielt er an diesem Gedanken fest und wählte nahe der Front gelegene Angriffsobjekte aus, Belfort und Verdun. Auf letzteres fiel schließlich die Wahl. Sollte die Festung nicht sofort fallen, so mußte sie taktisch wie geistig zum Symbol der Franzosen werden, zu einem Punkt, der bis zum letzten Mann verteidigt werden müsse.  Der Angreifer hätte dabei sowohl Tempo als auch Dauer des Angriffs in der Hand. Der Zeitpunkt war glücklich und kam allen für das Jahr 1916 gefaßten Plänen der Alliierten zu gemeinsamen Angriffen zuvor.

Die Truppe schlug sich beim Angriff in bewunderungswürdigender Weise. Das Verdun nicht fiel, lag wieder an der Halbherzigkeit, trotz aller Gegenvorstellungen nur auf einem Maasufer anzugreifen und vor allem die Reserven so weit entfernt aufzustellen und so spät freizugeben, daß man fast versucht ist, denen zu glauben, die Flakenhayn unterstellen, er habe den raschen Erfolg gar nicht gewollt. So traten schließlich die Folgen ein, die der Chef der OHL vorausgesehen hatte: Verdun wurde für die Franzosen tatsächlich zum Symbol, sie bluteten auf die furchtbarste Weise, um die Festung zu halten. Aber auch diese Theorie entpuppte sich als Halbwahrheit, denn die Verluste der Franzosen übertrafen die der Deutschen nur um ca. 10%. Das Schlimmste aber war, das Falkenhayn den psychologischen Moment völlig übersah. So sehr Verdun ein Symbol für die Franzosen geworden war, so war es auch eines für die deutschen Truppen geworden. Falkenhayn hatte Gang und Ausmaß der Schlacht nicht mehr in der Hand. Das Festhalten an dem Verdunplan nach den Erfahrungen der ersten sechs bis acht Wochen war noch erschütternder und unverständlicher als der erste Akt des Dramas. Seine halbe Methode führte zu einer schweren Niederlage vor den Augen von Heer, Heimat und aller Welt.

Einen versöhnenden Abschluß seiner Tätigkeit an der Spitze des deutschen Heeres aber bildete sein Handeln während der großen Brussilow-Offensive im Juni und der Somme-Schlacht im Juli. Es war ein anspannen aller Kräfte bis zum Äußersten. Sein rochieren mit den Reserven auf der Inneren Linie kann man als meisterlich bezeichnen. Richtig erkannte er den großen Gefahrenpunkt bei Kowel und baute hier eine erste Abwehrfront auf, als schon an der Somme die Geschütze dröhnten. Und er blieb Herr der Lage. Doch die Folgen aus den Versäumnisse der Vergangenheit holten ihn ein. Jetzt, nach den ersten Erfolgen und als er glaubte, der starke Mann zu sein, traf ihn doch überraschend der Befehl zum Abtritt. Der Kaiser übertrug ihm den Oberbefehl über die Armee gegen Rumänien.


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