Landwehrmann (Jäger) Heinrich Dokter

* 23.1.1884
+ 20.12.1914

gestorben im Feldlazarett Nr.123 in Roulers
an seiner am 16.12. in der 3.Kompagnie des
Reserve-Jäger-Bataillons Nr.24
bei den Stellungskämpfen 
westlich von Paschendaele (Flandern)
erhaltenen schweren Verwundung


 
Heinrich Dokter leistete seinen Wehrdienst in den Jahren 1904-1906 ab. Stationiert war er damals in Arolsen, der Hauptstadt des Fürstentums Waldeck. Das hier in Garnison liegende I.Bataillon des preußischen Infanterie-Regiments Nr.83, dessen beiden anderen Bataillone und der Stab in Kassel lagen, war das Kontingent, das Waldeck zu stellen hatte. Bedingt durch die Militärkonvention mit Preußen wurde aber damals schon "über die Grenzen hinaus" eingezogen, und so kam der Naunheimer in ein Truppenkontingent eines der kleinsten Bundesstaaten des damaligen Deutschen Reiches.

Ende 1906 entlassen, war er 3 Jahre lang Reservist, dann trat er 1909 zur Landwehr über. Als dann im August 1914 der Krieg ausbrach, war es zuerst sein älterer Bruder Ludwig, der sofort ins Feld rückte. Doch nur wenige Wochen später kam auch für ihn der Gestellungsbefehl. 

Im Spätsommer 1914 wurden aufgrund einer Order des Kriegsministeriums fünf neue Reserve-Armeekorps aufgestellt. Heinrich Dokter fuhr nach Marburg/Lahn. Hier lag das aktive kurhessische Jäger-Bataillon Nr.11.  Dieses Bataillon hatte den Auftrag, ein neues Reserve-Jäger-Bataillon aufzustellen, welches die Nummer 24 erhielt. In diese Einheit rückte der nun schon 30jährige Landwehrmann als Jäger ein.

Die neue Truppe hatte eine sehr unterschiedliche Zusammensetzung bzgl. ihres Mannschaftsbestandes. Neben den altgedienten Männern, die oftmals schon mehrfache Familienväter waren, befanden sich auch sehr viele Kriegsfreiwillige, überwiegend Studenten und Gymnasiasten, bei dieser Einheit. Es war für die Vorgesetzten natürlich schwierig, die oftmals noch blutjungen "Ungedienten" mit den älteren Landwehrmännern "unter einen Hut zu bringen". Aber da alle letztendlich wußten, warum sie zusammen waren, so klappte auch dies schließlich. Dennoch sprach auch bei so manchem kleinen Scherz die Erfahrung der Alten, wenn sie die jungen Burschen nicht als Kriegsfreiwillige, sondern als "Kriegsmutwillige" bezeichneten.

Zuerst herrschte großer Mangel an Waffen und Ausrüstungsgegenständen. Bei der Ausbildung mußten sich oft mehrere Männer ein Gewehr teilen. Aber mit der Zeit kam doch alles zusammen, und als sich der Sommer schon langsam seinem Ende zu neigte, da war die Truppe doch soweit zusammengeschweißt worden, daß die Vorgesetzten die Einsatzbereitschaft melden konnten.

Anfang September 1914 verließ das Reserve-Jäger-Bataillon 24 Marburg/Lahn und verlegte mit dem Zug auf den Truppenübungsplatz Sennelager. Hier wurde u.a. auch die 52.Reserve-Division, zu der die Jäger gehörten, zusammengezogen. Nun folgte nochmals eine Zeit intensivster Ausbildung, zusammen mit den anderen Truppen der Division. Letzte Mängel bei Bekleidung und Ausrüstung wurden abgestellt, und auch das Scharfschießen kam nun nicht mehr zu kurz. Auch der kommandieren General Excellenz Freiherr v.Hügel besichtigte die Männer. Nur auf den Geschäftszimmern herrschte noch Hektik: hier fehlten noch Sanitäter, dort waren zu wenig Wagen, und dann die Pferde! Dem einen fehlte noch ein Tornister, der andere hatte noch keine feldgraue Jacke - weiß Gott, was noch alles an Kleinigkeiten anlag! Und doch klappte es zum Schluß.

Um den 12.Oktober schließlich kam der Befehl zum Abrücken - Ziel unbekannt. Nun geht es gegen den Feind, nur wo? Egal, singend und voller guter Laune wurden die Transportzüge bestiegen. Schnell fanden die Jungen anhand der Stationsschilder heraus: es geht an die Westfront. Und richtig, das Ziel war der Raum um Gent in Belgisch-Flandern. 

Hier wurde am 15.Oktober ausgeladen. Eine neu gebildete 4.Deutsche Armee rückte nun breit gefächert zwischen Courtrai und dem Meer in Richtung Westen vor. Hier, wo die Front noch nicht erstarrt war, sollten nun die jungen Reserveeinheiten die Entscheidung bringen. Doch auch der Gegner, englische Truppen mit alterfahrenen Berufsoldaten, gingen gegen Osten vor. Am 17.Oktober kam es zu einem kleinen Gefecht. Durch die Uniform von Gefallenen erkannten die Engländern nun plötzlich, daß nicht einzelne Aufklärungseinheiten ihnen entgegenkamen, sondern eine ganze neu aufgestellte Armee. Ihr Oberbefehlshaber ordnete somit an, daß der Vormarsch eingestellt und sich in befestigten Stellungen verschanzt werden sollte. Französische Truppen wurden als Verstärkung eingeschoben. Hiervon jedoch ahnten die jungen deutschen Truppe nichts.


 
Das Kampfgelände des Reserve-Jäger-Bataillons Nr.24 westlich von Paschendaele

 
Die 52.Reserve-Division, zu der das Reserve-Jäger-Bataillon Nr.24 gehörte, war bisher über St.Eloi und Iseghem auf Moorslede vorgerückt. Nur leichte Schießereien mir Erkundungsabteilungen des Feindes hatten sie bisher gehabt. Doch es war klar geworden, daß in den nächsten Tagen mit starken feindlichen Kräften gerechnet werden mußte. Für den 20.Oktober kam folgender Befehl:

"Mit der 52.Reserve-Division ist Paschendaele zu erreichen, das Reserve-Jäger-Bataillon Nr.24 hat die Vorhut."

Es sollte eine blutige Feuertaufe für die doch noch kriegsunerprobte Truppe werden!

Um 8.30 morgens wird angetreten, um 10.30 vormittags wird der westliche Ortsausgang von Moorslede in Richtung Zonnebeke erreicht. Da schlägt plötzlich heftiges Artilleriefeuer ein. Die Truppe entfaltet sich, die 2. und 3.Kompagnie (mit Heinrich Dokter) in vorderster Linie, 1. und 2. Kompagnie rechtsgestaffelt dahinter. Sofort treten erste Verluste ein, dennoch wird der Angriff mit großem Schneid vorgetragen. Die 3.Kompagnie erreicht als erste ein Waldstückchen bei Broodseinde. Um 4.20 nachmittags folgt der Befehl zum weiteren vorgehen. Da schlägt heftiges Flankenfeuer in die Truppe, das Vorgehen stockt, und schließlich, als der Abend naht, graben sich die Kompagnien ca. 300 Meter vom Gegner entfernt ein. Am nächsten Morgen erfolgte der Sturmangriff, der zuerst gelang - 56 Gefangene wurden eingebracht. Aber dann liegt starkes Artilleriefeuer auf den eroberten Gräben, die Truppe muß gegen Abend wieder in die Ausgangstellung zurückgenommen werden. Der 22.Oktober verlief relativ ruhig, vereinzelt wurden die Stellungen geringfügig verbessert, doch Entscheidendes tat sich nicht. Für den 23. Oktober lautete der Befehl für das Reserve-Jäger-Bataillon Nr.24:

"Jäger 24 hat den Anschluß an die Straße Mosselmarkt-Fortiun, es wird angegriffen, Marschrichtung St.Julien."

Diesmal war die 3.Kompagnie links vorne eingesetzt. Die Verluste beim Vorgehen waren von Anfang an schwer, besonders auf der Windmühlenhöhe von s'Gravenstafel wurden die vorderen Kompagnien mit einem wahren Geschoßhagel, namentlich aus Maschinengewehren, überschüttet. Hier kam der Angriff zum Stehen, wieder grub sich die Truppe ein. Am nächsten Morgen setzte erneut stärkstes Artilleriefeuer auf die nur notdürftig ausgehobenen Schützenlöcher ein. Nun häuften sich die Verluste, aber dennoch wurde zäh ausgehalten. Auch der mit in vorderster Linie liegende Bataillonskommandeur der 24er Jäger, Oberstleutnant Freiherr Schenck v.Schweinsberg, wurde hier schwer verwundet. Gegen Abend wurde es etwas ruhiger, sogar Essen konnte den erschöpften Männern nach vorne gebracht werden.

Am nächsten Morgen lag wieder rasendes Artilleriefeuer auf der notdürftig nachts ausgebauten Stellung der Deutschen. Dann aber plötzlich Ruhe, und in lichten Scharen griff französische Infanterie an. Aber das zusammengeschmolzene Häuflein der Verteidiger konnte diesen Angriff abwehren. Doch links und rechts war der Gegner weiter vor gekommen, das Bataillon drohte abgeschnitten zu werden. Da kam um 4.00 Uhr nachmittags der Befehl zum Zurückgehen. Am 27. endlich konnten sich die Jäger sammeln, sie wurden nun zur Bedeckung der eigenen Artillerie eingesetzt. Die Verluste waren entsetzlich, so gab es z.B. keinen Offizier mehr im Bataillon, ein Vizefeldwebel führte die Truppe. Endlich, am 30., wurden die Jäger ganz herausgezogen, und in Mosselmarkt in Ortsunterkunft verlegt. Noch 153 Mann Gefechtsstärke hatten sie, mit über 600 waren sie angetreten.

Später einmal sagte der Kommandierende General Excellenz v.Hügel:

"Hätten die 24er Jäger damals bei Wallemole nicht so unerschütterlich ausgehalten und sich geopfert, wäre mein Korps bis hinter Rousselaere zurückgedrängt worden."

Viele von denen, an die das Lob gerichtet war, deckt heute der grüne Rasen......


 
Nur wenige Tage Ruhe war den Männern vergönnt. Nachdem Kleidung und Ausrüstung instandgesetzt waren, wurden Eiserne Portionen und Munition ergänzt. Es blieb aber auch noch Zeit, um manchen Hasen oder gar eine Ziege in den Kochtopf der Soldaten wandern zu lassen. Auch Wein wurde angeliefert, und fast schien es so, als ob die schweren Tage schnell vergessen werden konnten. Zu allem Glück kam auch noch der Marketender mit Gebäck und Honigkuchen. Nur die Trümmer der zerstörten Ortschaften und das permanente dumpfe Grollen der Artillerie störte das schon fast "friedliche" Dasein.

 
 Die zerstörte Kirche und der Friedhof
nach den Kämpfen um Paschendaele

 
Diesem Schlemmerleben bereitete der 9.November ein jähes Ende. Dieser Tag war für Heinrich Dokter noch aus einem ganz anderen Grund bedeutungsvoll, ist sein älterer Bruder Ludwig, der Zimmermeister, im Reserve-Infanterie-Regiment Nr.83 nur 10 km südlich von ihm bei einem Angriff nahe Wytschaete südlich Ypern in diesen Stunden gefallen. Nachdem die Truppe alarmiert war, rückte sie am 10. wieder vor in die Stellung bei Broodseinde. Die Reste des Reserve-Jäger-Bataillons Nr. 24 waren nun dem Reserve-Infanterie-Regiment Nr.239 unterstellt. Als die Männer schon in Stellung liegen, fängt es langsam an zu regnen. Der Tag vergeht, ein Angriffsbefehl kommt jedoch nicht. So naht der Abend, und schließlich wird der Rückmarsch nach Paschendaele angetreten. Hier bleiben 239er und 24er Jäger die nächsten Tage in Bereitschaft, bis klar wird, daß Wetter und Verluste keinen weiteren Großangriff mehr zulassen. Die Front war erstarrt, der Bewegungskrieg hatte sein Ende gefunden in einem Schützengraben, der sich nun von der Schweizer Grenze beginnend bis zum Meer hinzog.

So entstand auch im Bereich der 52.Reservedivision langsam aber sicher aus den hastig ausgebuddelten Schützenlöchern zuerst ein flacher, dann ein immer tiefer werdender Graben. Aber da setzte dann die Natur wieder Grenzen, daß Grundwasser meldete sich und setzte gar manchen mühsam errichteten Unterstand schnell unter Wasser. So wurden Sandsäcke benutzt, um eine Brustwehr zu erstellen. Dann wurden die einzelnen Gräben verbunden, Verbindungs- und Anmarschwege wurden ausgehoben. Aber immer wieder kam das Wasser, gar mancher Graben versumpfte schneller, als er erstellt worden war. Dann wechselte das Wetter, aus dem Regen wurde Schnee und die Temperatur sank. Immerhin war die Kampftätigkeit stark gesunken, denn auch der Gegner kämpfte mit den gleichen Schwierigkeiten. So lagen bei den Jägern in ihrer Stellung hart an der Straße Broodseinde-Paschendaele immer drei Kompagnien vorne, eine in Reserve rückwärts an einem Bahndamm. In einem festen Rhythmus wurde abgewechselt. Am 18.November fällt Neuschnee und es friert - eine seltene Erscheinung in Flandern. Aber schon am nächsten Tag scheint plötzlich wieder die Sonne, und die vorher gefrorenen Grabenwände tauen auf und rutschen zusammen. Nun greifen endlich die Pioniere ein. Mit Ihrem Fachwissen und unter ihrer Anleitung entstehen nun Entwässerungssysteme, werden stabile Balken eingezogen, und auch Beton kommt zum Einsatz. Endlich entsteht langsam aber sicher eine den Kriegsanforderungen entsprechende Stellung. 

Auch der Gebrauch der Handgranate wird von den Pionieren erlernt. Langsam beginnt man, mit freiwilligen Patrouillen das Gefechtsfeld vor der Stellung zu erkunden. Schließlich werden sogar überraschend einzelne Grabenstücke des Feindes überfallen. Der geräumte Graben wird schnell mit der eigenen Stellung verbunden. Dann aber wird dem Gegner diese Belästigung unerträglich, und er versucht mit gleicher Münze heimzuzahlen. So ist permanente Wachsamkeit geboten, und täglich gibt es, auch durch die immer wieder stattfindenden Feuerüberfälle der Artillerie, Verluste.

Um den Monatswechsel November/Dezember findet eine Neugruppierung der 4.Armee statt. Die 52.Reservedivision wird aus ihrer Stellung herausgezogen und etwas weiter nördlich bei Kortekeer Cabinet - Wallemolen unmittelbar westlich Paschendaele wieder neu eingesetzt. Gerade als am 3.Dezember die Stellung übernommen worden war, setzte ein groß angelegter Angriff des Feindes ein, zuerst beim linken Nachbarn im Raum um Langemarck, dann aber auch weiter nördlich. In das Getöse des Kampfes mischte sich der Donner eines Gewitters. Bis zum 7.Dezember dauerten diese Kämpfe an, bei denen die Deutschen ihre Stellungen schließlich behaupten konnten, wenn auch unter großen Verlusten.


 
Das Grab von Heinrich Dokter im Jahre 1915
auf dem Lazarettfriedhof von Roulers

 
Doch wie sahen nun die Gräben und Unterstände aus? Das mühsam Erbaute war zum großen Teil wieder zerstört. So begann der Stellungsbau von neuem, erschwert durch Regen, der fast ohne Pausen sich herniedergoß. Wieder wurde ein ständiger Wechsel der Kompagnien eingerichtet. Ruhe, Bereitschaft und vorderste Linie, das war der Rhythmus, der die Männer nun beherrschte.

Am 16.Dezember lag u.a. auch die 3.Kopagnie vorne in Stellung, als ein größeres Patrouillenunternehmen des Feindes, unterstützt durch schweres Artilleriefeuer, stattfand. Zwar gelingt es den Jägern, den Angriff abzuschlagen, aber die Verluste sind doch erheblich. Auch Heinrich Dokter wird schwer verwundet zum Sanitätsplatz gebracht. Hier erkennt der Bataillonsarzt das Ausmaß der Verletzungen und veranlaßt, daß er durch die Sanitätskompagnie mit einem Wagen in das Feldlazerett Nr.123 nach Roulers überführt wird. Doch auch hier können ihm die Ärzte nicht mehr helfen, er stirbt am 20.Dezember an seinen Wunden.

Durch das Personal wird er nun - wenige Tage vor Weihnachten 1914 - auf dem Lazarettfriedhof von Roulers beigesetzt, seine Einheit wird benachrichtigt. Kameraden machen später ein Fotographie des Grabes und senden es den Verwandten nach Naunheim.


 
Die Todesanzeige im "Wetzlarer Anzeiger" vom 2.Februar 1915

 
Bedingt durch die Kriegswirren dauert es noch bis Anfang Februar 1915, bis die Kunde von seinem Tod in die Heimat gedrungen ist und seine Todesanzeige im "Wetzlarer Anzeiger" erscheint. Irrtümlich wird der Ort "Roulers" hier "Routuai" geschrieben.

Doch es sollte nicht die letzte Ruhestätte von Heinrich Dokter bleiben. Als der Krieg beendet war, da wurden die vielen kleinen Soldatenfriedhöfe und Einzelgräber zusammengelegt. In der kleinen Stadt Menen, nicht weit von den Stellen, an denen er gekämpft hat, entstand einer der größten deutschen Soldatenfriedhöfe des 1.Weltkriegs. Auch die Toten, die auf dem Lazarettfriedhof von Roulers begraben waren, wurden hierhin umgebettet.


 
Der Friedhof Menen in Belgien, heute die letzte Ruhestätte von Heinrich Dokter

 
Nun endlich hatte auch Heinrich Dokter seine endgültige Ruhestätte gefunden. Mit über fünfzig anderen Toten des Krieges 1914-18 aus dem Kreis Wetzlar liegt er noch heute auf dem deutschen Soldatenfriedhof in Menen in Belgisch-Flandern. Sein Grab trägt die Bezeichnung "Block P Grab 1754". 

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