Musketier Ludwig Bill

* 26.6.1894
+ 28.6.1915

gestorben in einem Feldlazarett in Wylkowyszki (Rußland)
an seiner am 19./20. Juni beim Angriff 
auf die Höhe 138 bei Kalwarja
in der 9.Kompagnie des
Reserve-Infanterie-Regiments Nr.266
erhaltenen Verwundung


 
Um den Jahreswechsel 1914/15 erblickte in Norddeutschland eine neu aufgestellte Kriegsformation das Licht der Welt: das Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 266. Auf dem Truppenübungsplatz Lockstädter Lager bei Itzehoe sammelten sich die Soldaten. In der Regimentsgeschichte lesen wir, daß am 26.12.1914 die Züge mit den Rekruten eintrafen. Zu diesen gehörte auch Ludwig Bill, der in die 9.Kompagnie einrückt.

Die nächsten Wochen sind ausgefüllt mit Übungen der verschiedensten Art, doch liegt der Schwerpunkt eindeutig im Marschieren und Schießen. Nach und nach wird die Ausrüstung vervollständigt, und nach einigem Hin- und Hergetausche paßt schließlich auch der Waffenrock.

Über diese Zeit schreibt die Regimentsgeschichte:

Die Tage sind laut und betriebsam, frischen die Wangen und weiten die Brust. Die Nächte sind still; wer nicht auf Wache zieht, schläft den Schlaf der müden Kraft und des guten Gewissens. In immer größeren Einheiten wird geübt. Die Artillerie tritt auf den Plan und karrt ihre Geschütze zum Trott der Infanterie. In Fluge verinnt die Zeit."

Gegen Ende des Monats Januar neigt sich die Ausbildungszeit langsam dem Ende entgegen. Am 27. feiert man noch "Kaiser's Geburtstag", das "Festmahl" besteht aus Goulasch und Kartoffeln. Dann aber wird es im Lager lebendig. "Fertigmachen" heißt der Befehl. Aber wo geht es hin? Niemand hat eine Ahnung, die wildesten Gerüchte schwirren umher. Schnell werden noch die letzten Erinnerungsfotos für die Lieben daheim gemacht, dann, in der Nacht zum 1.Februar, sammeln sich die Truppen am Bahnhof.


 
Während der Ausbildung im Lockstädter Lager im Januar 1915
(knieend ganz links Ludwig Bill)

 
Als sich die Züge in Bewegung setzen, merken die Kundigen bald, das es nach Osten geht. Wittenberge, Berlin, Küstrin, Bromberg, Thorn und Allenstein werden durchfahren. Nun ist man in Ostpreußen. Auf einem kleinen Dorf ist Endstation. Rasch sammelt sich die Truppe. Im Vorbeimarsch kann man das Stationsschild entziffern: "Klein-Puppen". Noch ein kurzer Marsch, und das Nachtquartier ist erreicht.

Ostpreußen schläft unter einer weißen Decke. Und die Männer merken rasch, warum das manchmal so eintönige Marschieren während der Ausbildung von den Vorgesetzten so wichtig genommen wurde.  Bei 10 Grad unter Null stapfen die Regimenter vorwärts. Doch was ist der Sinn?
Im Osten sammelt sich langsam der Russe zu einem neuen Angriff. Die deutsche Führung will ihm zuvorkommen. Ungeachtet des strengen Winters und im vollen Vertrauen auf die Truppe wälzen sich langsam, aber beständig, die Divisionen vorwärts. Und unaufhörliche rollen neue Züge heran. "Ahnen die denn nichts?", so fragt sich mancher etwas bang. 
Während des Vorrückens sehen die Männer die Verwüstungen, die vom Einfall der Russen in Ostpreußen im Herbst 1914 her stammen. Nun wird den meisten klar, worum es geht: Das Leiden hier soll ein Ende haben"!

Immer kälter wird es, nachts werden schon - 20 Grad erreicht. Bei Königsthal trifft man dann auf den Feind - es ist nur ein leichtes Geplänkel mit Nachhuten. Und trotzdem, die ersten Verluste treten ein. Doch weiter geht es,
biß bei Drygallen der Widerstand der Russen größer wird. Hier erhält wohl auch Ludwig Bill seine Feuertaufe, denn der entscheidende Angriff wird von der 9. und 10. Kompagnie durchgeführt. Die Bataillone leiden schwer, der Feind hat sich gut verschanzt. Schließlich gelingt es doch noch in der Nacht, den Russen aus seiner Stellung zu werfen. 

Die Regimentsgeschichte schreibt hierzu:

"Die Feuerprobe ist bestanden, bezahlt mit 72 Toten und 264 Verwundeten."

Weiter geht der Vormarsch, ungeachtet des furchtbaren Wetters. Dieses hat sich in den letzten Tagen immer mehr verschlimmert. Vor allem der starke Ostwind ist fast zum Orkan geworden, und die Erkrankungen häufen sich beängstigend. Schließlich wird am 11.Februar bei Rogallen die russisch-deutsche Grenze überschritten. Nun ist man in Feindesland. Doch der Gegner leistet jetzt immer heftigeren Widerstand. Vom 10. bis zum 14. müßen die 266er heftige Kämpfe in der Gegend von Lyck bestehen. Und der Wettergott kennt kein Erbarmen: plötzlich wird es wärmer und es regnet in Strömen. Mit dem Morgengrauen des 16. erreicht der Feldzug seinen Höhepunkt. Bei Augustow stellt sich der Russe noch einmal zum entscheidenden Kampf. Mit den letzten Kräften brechen die deutschen Regimenter vor und erreichen den Fluß Bobr - der Feind ist im Walde von Augostow eingeschlossen.

So meldet der Heeresbericht vom 16.Februar:

"In der neuntägigen 'Winterschlacht in Masuren' wurde die russische 10.Armee nicht nur aus ihren Stellungen vertrieben, sondern auch über die Grenze geworfen und schließlich in nahezu völliger Einkreisung geschlagen.
... Die blutigen Verluste des Feindes sind sehr stark, die Zahl der Gefangenen beträgt sicher weit über 50000.
... Die Leistungen der Truppe sind über jedes Lob erhaben."

Diese Anerkennung galt auch für den Musketier Ludwig Bill.

Die Bataillone richten sich nun in ihren erreichten Stellungen ein. Jetzt endlich kommt auch die Verpflegung wieder regelmäßig, und dann erreicht die Männer am 19. auch die erste Post aus der Heimat. Doch Ruhe kehrt nicht ein. Noch immer versuchen russische Verbände, durch einen Gegeangriff ihre Truppen im Wald von Augustow zu entsetzen. Von dem dortigen Desaster wissen sie noch nichts. So beginnt am 23. ein Großangriff auf die deutschen Stellungen. Das III. Bataillon mit Ludwig Bill liegt in Reserve. Um die Mittagszeit wird die Lage kritisch, der Feind ist schon stellenweise im deutschen Graben. Da befiehlt der Regimentskommandeur seine Reserve zum Gegenangriff. Es kommt zu einem blutigen Gefecht. Teilweise im Nahkampf wird der Russe zurückgeworfen, und als das Bataillon den Waldrand nördlich Ostrow besetzt, ist das Nordufer des Bobr wieder in deutscher Hand. Erschreckend hoch sind die Verluste, aber der Feind hat genug, er rührt sich vorläufig nicht mehr.

In den nächsten Wochen wird die Stellung ausgebaut. Zwar kommt es immer wieder zu Kämpfen, denn der Russe läßt nicht locker, aber Krisen entstehen keine mehr Nun treten auch längere Ruhepausen ein, und neuer Ersatz aus der Heimat ergänzt die gelichteten Reihen. Am 11.April schließlich kommt der Befehl "Abtransport", und wieder weiß keiner, wo es hingeht.

Zurück nach Goldap fahren die Züge, dann drehen sie nach Norden ab, um bei Eydtkuhnen wieder nach Rußland hineinzufahren. Doch nur kurz ist die Fahrt auf russischem Boden, in Wylkowyszki ist Endstation. Einen Tag hat man hier noch Ruhe, dann beginnt der Marsch in Richtung Kalwarja, das am 15.April erreicht wird. Sie ist die erste russische Grenzstadt jenseits der Rominter Heide. Ganz mutige nehmen noch schnell ein Bad in dem Fluß Szeszupa, dann beginnt die Ablösung der bisherigen Stellungstruppe. Am 16. bereits hat sich das Regiment in seinem neuen Abschnitt eingerichtet.


 
Das von den Kämpfen schon stark
beschädigte Kalwarja im Sommer 1915

 
Schon um den Monatswechsel April/Mai wird es wieder unruhig. Vereinzelte russische Angriffe werden aber abgeschlagen. Mehrfach zeichnet sich die 9.Kompagnie mit Ludwig Bill aus. Das Artilleriefeuer wird immer heftiger, täglich treten Verluste ein. Doch ist es möglich, in einem geregelten Wechsel den Männern immer wieder Ruhephasen zu gewähren. Und in Kalwarja findet man noch Abwechslung, die Zivilbevölkerung hat den Ort trotz der Zerstörungen noch nicht geräumt.

So schreibt die Regimentsgeschichte:

"Die tapferen Schönen der Stadt, die unbekümmert um die häufigen Artilleriegewitter über die holprigen Pflaster lustwandeln, ziehen manchen maisehnsüchtigen Feldgrauen hinter sich her in so ein schwach erhelltes, schmalzdampferfülltes Gemach, und zarte Verhältnisse spinnen sich an. Das kann nicht gutgehen, denkt der Oberstabsarzt Dr. Janson, und bald plagen ihn die größten Sorgen."

Aber alle Versuche, dieser "Plage" Herr zu werden, scheitern. Vorträge nützen nichts, und als man die "Damen" in ein Zimmer sperrt, sind sie kurz danach schon durch das nächste Fenster wieder ausgebüchst. Man will sie auf einem Wagen wegbringen, doch das Gefährt kommt leer an!! Schließlich gibt der Doktor auf, und so muß sich jeder seiner eigenen Haut wehren.

Am 14.Mai stört ein Befehl die anschauliche Ruhe. Eine größere Umgruppierung hat zur Folge, daß die Division wieder einmal verlegt wird. Nur das Regiment 266 bleibt auf seinem Posten. Als ob es die Russen mitbekommen haben, beginnen sie am nächsten Tag wieder ein heftiges Feuer. Dabei wird wieder einmal klar, daß der Stellungsverlauf nicht sehr günstig ist. Von der Orja-Höhe am rechten Flügel bekommen die Truppen immer wieder unangenehmes Flankenfeuer. 


 
Das Stellungssystem der 266er,
der Pfeil zeigt auf die Orja-Höhe

 
Da auch die höhere Führung den Offensivgeist der Truppe erhalten will, reift der Entschluß, diese Höhe zu nehmen, und so die eigene Stellung nach vorne  a u f  die Höhe zu verschieben. Am 15. beginnt der Sturm, der zu einem vollen Erfolg wird. Doch als man die Russen aus ihrer Stellung vertrieben hat, stellt man fest, daß die Nachbarhöhe 138 immer noch besetzt ist. Und von hier schlägt permanent Feuer in die Reihen der 266er. Ein erster Angriff am 18. scheitert, auf dieser Höhe ist der Feind noch nicht erschüttert. So wird für den 19. der Angriff nochmals angesetzt.

Früh morgens wird das III.Bataillon bereitgestellt, die 9. und 12.Kompagnie bilden die vorderste Linie, die von überhöhtem MG-Feuer unterstützt wird. Bis auf 300 m kommen die Männer an die feindliche Stellung heran, die Sonne steht schon im Mittag. Da haben die Russen die Bereitsstellung entdeckt. Schwere Granaten zerwühlen den Hang und werfen Splitter, Erdbrocken und Dampf in die Schützenlöcher. Da hilft nur noch der Sturm nach vorne. Um kurz nach 1 Uhr blitzen die Bajonette, und die schweren deutschen MG jagen Garbe auf Garbe hinüber in die feindliche Stellung. 

Über den Sturm der 9.Kompagnie mit Ludwig Bill schreibt die Regimentsgeschichte:

"Die schweratmenden Stürmer der 9.Kompagnie starren gegen den Kamm. Kein Schußfeld! Weiter! Am jenseitigen Hang zieht sich ein 40 m breites Grabenstück hin. Hinein! Der Graben ist knietief und liegt voll von Toten und Verwundeten. Unentwegt kämmt von der Höhe 138 das Flankenfeuer herüber.
Weiter vorzudringen ist nicht möglich. Die Kompagnien können froh sein, wenn zur Nacht das Erreichte einigermaßen verteidigungsfähig ist."

In der Dämmerung rücken Reserven nach vorne, auch Munition trifft ein. Um Mitternacht schließlich ist der Graben durchgehend verbunden. Da wird es vor der Stellung der 9. und 12.Kompagnie lebendig. Bis auf 40 m ist der Russe an die deutsche Stellung herangekommen, nun tritt er zum Sturm an. Ein heftiges Abwehrfeuer schlägt ihm entgegen, in der Dunkelheit kommt es zu erbitterten Nahkämpfen.

Die Regimentsgeschichte schreibt weiter:

"Immer wieder greifen die Russen an, der zäheste, tapferste Gegner, dem das Bataillon je begegnet ist. Aber die Stöße werden schwächer. Gegen 1 Uhr erstirbt das Feuer in Einzelschüssen. Dann wird vorn ein stillschweigender Waffenstillstand zum Bergen der Toten und zum Fortschaffen der Verwundeten benutzt. Als der Morgen des 20. freundlich, klar und lautlos heraufsteigt, klaffen auch im III.Bataillon die Lücken auf: 32 Tote und 121 Verwundete."


 
Das Grab von Ludwig Bill
bei Wylkowyszki (Rußland)

 
An diesem Morgen wird auch Ludwig Bill, der mit seiner 9.Kompagnie im Brennpunkt des Kampfes gestanden hat, schwer verwundet von den Krankenträgern den Berg herunter gebracht.

Zuerst wird er in Kalwarja versorgt. Aufgrund der Schwere der Verwundung entscheidet der Stabsarzt, daß er in das nahegelegene Feldlazarett in Wylkowyszki zu bringen ist. Doch auch hier kann ihm nicht mehr geholfen werden. Am 28.Juni 1915 stirbt er dort, zwei Tage nach seinem 21. Geburtstag. Auf dem von den deutschen Truppen angelegten Soldatenfriedhof wird er bestattet.
Von den meisten Friedhöfen dieser Art ist heute nichts mehr bekannt. Einige Gefallene sind umgebettet worden, andere ruhen heute noch an dem Ort, wo sie seinerzeit beigesetzt wurden.


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