Die deutschen Angriffe 1918

Strategische Gedanken über die Planungen der Offensive

Im Winter 1917/18 mußte sich die OHL darüber im Klaren werden, wie der Krieg im neuen Jahr weiter geführt werden sollte. Sowohl bei den Mittelmächten, als auch bei der Entente erkannte man, das die Entscheidung  über den Ausgang des Weltkrieges näher gerückt war. Nach dem Zusammenbruch Rußlands schien es fast selbstverständlich, nun im Westen zu einer großen Offensive zu schreiten. Zwar konnte die Ostfront nicht völlig von Truppen entblößt werden, aber die Freiheit des Rückens, die Voraussetzung für einen Angriff war, konnte doch hergestellt werden.

Dennoch, bei einer Beurteilung der Lage konnte man auch den Gedanken, den Krieg im Westen defensiv zu Führen, nicht völlig außer acht lassen. Generalfeldmarschall v.Hindenburg betont, daß es ein Irrtum sei, zu glauben, die OHL hätte nicht auch geprüft, weiter in der Verteidung stehen zu bleiben, zumal nun starke Reserven hinter der Front bereitgestellt werden konnten.

Wenn man die Lage rein strategisch betrachtet, so schien es durchaus möglich, daß sich eine verstärkte Westfront das Jahr 1918 hindurch in der Verteidigung gehalten hätte. Auch wäre es denkbar gewesen, mit den Kräften, die früher fehlten, in geeigneten Augenblicken zu Gegenstößen überzugehen. Allerdings mangelte es an großen strategischen rückwärtigen Stellungen, in die man im Notfall hätte ausweichen können.

Die entscheidende Frage lautet jedoch: "Was hätten die Mittelmächte durch eine solche hinhaltende Kriegführung gewinnen können?" Den Gedanken, der U-Boot-Krieg könne die Entscheidung bringen, hatte man schon aufgeben müßen. Somit konnte die Entscheidung nur beim Heer liegen. 
Hier aber lagen gewichtige Gründe vor, um  b a l d i g s t  von der Verteidigung zum Angriff über zu gehen. Was war denn vom Gegner zu erwarten? Es war durchaus anzunehmen, daß er warten würde, bis  e r  zur Offensive bereit war! Diese Zeit durfte ihm die OHL nicht lassen. 
Wie schon allein dieser Umstand den Zwang zum Angriff bedeutete, so lagen noch andere Gründe vor, um diesen Druck zu verstärken.

Wie man aus der Lage der deutschen Verbündeten erkennen konnte, reichte deren Kraft nicht mehr lange zur Weiterführung des Krieges aus. Sie wurde nur noch durch die Hoffnung auf einen deutschen Sieg im Westen getragen.
Aber auch die Zustände im deutschen Heer und in der Heimat gaben zur Sorge anlaß. Daß die großen Verteidigungsschlachten verlustreicher waren und zermürbender wirkten als der Angriff, hatte der bisherige Verlauf des Krieges erwiesen. Auch die immer schwieriger werdende Ersatzlage drängte dazu, die Entscheidung zu beschleunigen. Auch für die Truppe waren die monatelangen Abwehrschlachten schwerer zu ertragen als ein großer Angriff, Somme- und Flandernschlacht hatten das bewiesen. Die körperlichen Leiden und Entbehrungen, der seelische Druck und die enorme Übermüdung wurden auf Dauer unerträglich. Man war sich daher in der ganzen Truppe einig, dann lieber einen schweren Angriff zu wagen, um endlich aus den Gräben und Trichtern heraus zu kommen.
Das Heer war zu dieser Zeit durchaus noch zu einem großen Angriff imstande. Seit 1914 waren die Truppen im Westen dazu nun auch zahlenmäßig stark genug, wenn die Kräfte am entscheidenden Punkt zusammen gezogen wurden. Und auch Clausewitz sagt: "Der Angriff ist die stärkste Form des Krieges, er allein führt die Entscheidung herbei; er verleiht der Truppe Schwung und hebt ihren Geist." Die konsequente Ausbildung in Friedenszeiten hatte daher den Angriff immer in den Vordergrund gestellt, hierin lag die Stärke des deutschen Heeres.

Somit drängten alle Umstände zum Angriff. Schwierig war die Frage zu entscheiden, wo man angreifen sollte.

General Ludendorff hatte den Gedanken, die Offensive im Osten fortzusetzen, erwogen, dann aber mit Recht aus militärischen und politischen Gründen abgelehnt. Auch einen Angriff auf Saloniki, um die Orientarmee der Entente endgültig vom Balkan zu vertreiben, verwarf er, so wünschenswert er eine solche Operation auch hielt. Der Angriff wärte nicht leicht gewesen und hätte starke Kräfte gefordert, auch der Zeitfaktor spielte eine Rolle.

Etwas Bestechendes hatte ein groß angelegter und gemeinschaftliche geführter Angriff in Italien. Aber im Frühjahr 1918 waren die Bedingungen nicht mehr so günstig wie früher, vor allem, weil die Italiener an der Piave standen und so ein Flankenstoß aus Tirol heraus sie nicht mehr empfindlich treffen konnte. Es gab Vorschläge, weiter westlich auszuholen und dann zu beiden Seiten des Gardasees anzugreifen, um die italienische Armee abzuschneiden und zu vernichten. Aber dieser Angriff konnte erst bei günstiger Jahreszeit beginnen und erforderte starke Kräfte, die dort eventuell längere Zeit gebunden blieben, vor allem dann, wenn sich die Entente zur Unterszützung der Italiener entschließen würde. Die Situation an der Westfront würde dann unwägbar werden, ein Entlastungsangriff der Entente im von deutschen Truppen geschwächten Westen wäre auch denkbar gewesen. Somit empfahl sich letztendlich auch dieser Vorschlag nicht, zumal auch wiederum der Zeitfaktor zu berücksichtigen war. Eine  s c h n e l l e  Entscheidung - vor dem Eintreffen der Amerikaner - war dadurch kaum zu erreichen.

Alle Erwägungen führten somit zu der Überzeugung, daß nur der Angriff im Westen in Frage kommen konnte. Dieser große Entschluß ist keinesfalls einseitig militärisch gefaßt worden, sondern mit voller Billigung der damaligen politischen Leitung. Der Reichskanzler Graf Hertling hat ihn sogar, wie in einem Schreiben an Generalfeldmarschall v.Hindenburg vom 7.Januar 1918 hervorgeht, mit Genugtuung begrüßt. Hertling schreibt u.a., daß die Entente nicht die russischen Einladungen zu den Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk angenommen habe und daß er hoffe, den Reichstag - mit Ausnahme der Sozialdemokraten - von dieser Entscheidung zu überzeugen. "An Bemühungen in dieser Richtung wird es nicht fehlen." Weiterhin erhofft er unter der bewährten Führung einen durchschlagenden Erfolg.

Es bleibt somit festzuhalten, daß nicht die OHL alleine, sondern militärische  u n d  politische Führung diesen Entschluß gemeinsam trugen. Der Reichskanzler hatte klar zum Ausdruck gebracht, daß er ebenso den Sieg erhoffte, wie es auch die OHL tat. Den Generalen und dem Kaiser hinterher die alleinige Verantwortung aufzubürden, wie es einige Politiker nach dem Zusammenbruch im November 1918 taten, ist somit absurd.

Die OHL war sich der Schwierigkeit ihrer Aufgabe voll bewußt. Der Franzose hatte sich als ein sehr tapferer und geschickter Gegner erwiesen, die englische Landmacht war zu einem Millionenheer angewachsen und im Sommer drohte das militärische Eingreifen der Vereinigten Staaten, deren unermeßliche finanziellen und wirtschaftlichen Hilfsquellen schon jetzt der Entente zur Verfügung standen. Der Sieg auf dem westlichen Kriegsschauplatz bedingte den  D u r c h b r u c h  durch die starken feindlichen Verteidigungsstellungen, die sich von der Nordsee bis zur schweizer Grenze lückenlos hinzog. Die Schlachten in der Champagne, an der Aisne, an der Somme und in Flandern waren warnende Beispiele dafür, daß ein solches Unterfangen der Entente bisher  n i c h t  gelungen war. Im Osten, wo im Jahre 1915 den deutschen und ihren verbündeten Truppen der Durchbruch bei Gorlice gelang, hatten andere Verhältnisse vorgelegen. Doch wenn der Durchbruch gelang, dann traten sofort neue Schwierigkeiten an die Führung heran. Der Erfolg mußte mit frischen Kräften ausgebeutet werden mit dem Ziel, die Freiheit des Bewegungskrieges wieder zu gewinnen. Es galt dann, den Übergang zu einer kraftvollen Operation im freien Felde  sicherzustellen. Vorbedingungen für dieses Unternehmen waren sorgfältigste Ausbildung für den Angriff und Ausnutzung aller bisherigen Erfahrungen. Aber auch die Anwendung eines neuen, überraschenden Angriffsverfahren berechtigte zu der Hoffnung, daß es gelingen würde, das große Problem des Durchbruchs zu lösen.

Der OHL war klar, daß sie alles auf die eine Karte Angriff setzen mußte. Mißlang die große Offensive, dann war der Krieg verloren! Dies ist nicht als Vorwurf aufzufassen, denn nur wer wagt, kann gewinnen! Und wer vom Rathaus kommt, ist immer klüger!

So ist es durchaus erklärlich, daß andere Vorschläge damals und nachträglich laut geworden sind. Berufene und Unberufene haben sich geäußert.

Die Beschränkung auf die reine Verteidigung ist von fachmännischer Seite kaum empfohlen worden. Wenn General Kabisch in seinem Werk "Streitfragen des Weltkriges" die strategische Defensive vorschlägt, so ist damit nicht eine passive Verteidigung in einer Abwehrschlacht gemeint, sondern eine, die auf Gegenstößen aufbaute, planmäßig Gelände aufgab, um dann den Angreifer durch Stoß der Reserven zu fassen. Der entscheidende Haken an diesen Überlegungen ist aber: Was tun, wenn der Gegner gar nicht angreift? Auch beweist die Kriegsgeschichte, wie schwierig gerade der Gegenstoß zum richtigen Zeitpunkt und an der richtigen Stelle ist. Es bestand die Gefahr, die Reserven bis zum Sommer an verschiedenen Stellen zur Abwehr zu verbrauchen.
Der bekannte schweizer Militärschriftsteller Stegemann hatte durch einen Reichstagsabgeordneten dem Auswärtigen Amt eine Denkschrift vom 16.Februar 1918 zukommen lassen. Darin äußerte er Zweifel an dem gelingen einer Offensive im Westen. Er rechnete mit einem allgemeinen Bedürfnis nach Frieden und Verständigung und glaubte, daß es genüge, nur mit der Offensive zu  d r o h e n . Doch der deutschen Kriegsleitung war klar, daß mit Drohungen alleine nicht viel zu erreichen war. Über die Bereitwilligkeit der Gegner zur Verständigung hat sich Stegemann wohl getäuscht. Völlig unverständlich ist seine dann folgende Behauptung, "die Weltmeinung und das Weltgewissen hätten den Krieg als solchen überwunden." Gerade mit der Berufung auf das Weltgewissen hat bekanntlich der letzte Reichskanzler Prinz Max v.Baden vor dem Umsturz und dem Zusammenbruch sehr traurige Erfahrungen gemacht.
Auch der Meinung Churchills kann man sich nicht anschließen. Er hat nachträglich diesen Zeitpunkt als günstig für Friedensverhandlungen erachtet. "Rußland zerschlagen, Italien röchelnd, Frankreich erschöpft, die britischen Armeen verblutet, die U-Boote noch nicht niedergerungen, die Vereinigrten Staaten 3000 Meilen entfernt!" Welche Bedingungen aber stellt er? Churchill spricht von "wichtigen territorialen Zugeständnissen an Frankreich", außerdem der vollständigen Wiederherstellung Belgiens. Doch was sollte mit Österreich und der Türkei passieren? Man kann mit Sicherheit annehmen, daß die längst bekannten Bedingen der Entente wieder auf den Tisch gekommen wären. Natürlich war der Besitz Belgiens immer ein besonderer Aspekt. Niemals würde England einer Annektion zugestimmt haben, ehe es nicht völlig zu Boden geworfen war. Wenn auch General Ludendorff nach seinen Angaben an seinem Kriegsziel in Bezug auf Belgien "innerlich" bis in den Sommer 1918 hinein festhielt, so ist doch anzunehmen, daß er sich beschieden hätte, wenn sich eine Möglichkeit zur Verständigung gezeigt hätte. Mit Recht verwahrt sich der General entschieden gegen den Vorwurf, ein Friede sei im März 1918 nur deshalb gescheitert, "weil er durchaus habe angreifen wollen"!
Anfang März 1918 hatte der Leiter der militärischen Abteilung des Auswärtigen Amtes, Oberst v.Haeften, wie Ludendorff berichtet, ohne sein Wissen im Haag Verbindung "mit einer Persönlichkeit des feindliches Auslandes, die über die Ziele und Absichten der amtlichen Stellen in London und Washigton unterrichtet war" angeknüft. Später stellte es sich heraus, daß es sich dabei um den im Pressedienst der Haager Gesandtschaft tätigen deutsch-amerikanischen Ingenieur Röggerath handelte. Als Bedingungen für Friedensverhandlungen wurden ihm mitgeteilt: Bedingungslose Räumung Nordfrankreichs und Belgien, Autonomie Elsaß-Lothringens, Zahlung von Kriegsentschädigungen, Aufhebung aller im Osten zustandegekommenen Friedensschlüße, völliger Wechsel des Regierungssystems in Deutschland. Nur ein geschlagenes Deutschland, so Ludendorff, hätte diese Bedingungen annehmen können. Und man muß sich fragen, wo man damals im Reich jemanden hätte finden sollen, der solche Bedingungen hätte annehmen können oder gar wollen. Schließlich, mit einer Autonomie der Reichslande wäre Frankreich nie zufrieden zu stellen gewesen. Sein unabänderliches Kriegsziel war, wie hinreichend bezeugt ist, der Besitz Elsaß-Lothringens.
Es erübrigt sich, auf die privaten Versuche zu Verhandlungen, die der Reichstagsabgeordnete Haußmann in der Schweiz durch Besprechungen mit Amerikanern, und Max Warburg aus Hamburg im Haag bei dem Gesandten der Vereinigten Staaten machte, einzugehen. Sie waren ergebnislos.

Abschließend noch einige Sätze zum Stichwort "Propaganda". Am 14.Januar 1918 legte Oberst v.Haeften dem General Ludendorff eine Denkschrift vor, in der er die  p o l i t i s c h e  Offensive gegen England vorschlug. In ihr wird besonders auf den Grad der Widerstandfähigkeit der englischen Heimatfront hingewiesen. Diese zu zermürben, um die militärischen Siege entsprechnd zur Geltung kommen zu lassen, sieht Haften als oberstes Gebot. Eine geschickte politische Propaganda sollte die Schuld an der Fortsetzung des Krieges Lloyd Georges und seiner "knock-out-Politik" darstellen. Der Oberst schloß mit den inhaltsschweren Sätzen: "Worte sind heute Schlachten! Richtige Worte gewonnene Schlachten, falsche Worte verlorene Schlachten!"
Die Denkschrift wurde vom General Ludendorff unter dringender Befürwortung an den Reichskanzler übergeben. Es ist nicht bekannt geworden, daß irgend etwas darauf erfolgt ist!


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